Fremd Körper

von Andreas Staudinger

Ein tödlicher Kampf mit dem eigenen Körper.

Inspiriert von der erschütternden Krankengeschichte der Ellen West (1890-1924) setzt sich der Kärntner Autor Andreas Staudinger mit der Magersucht auseinander, „Fremdkörper“ ist ein groteskes Hohelied auf Körperkult und Schlankheitswahn.

Premiere: 03.Mai 2001 im Hallenbad Feldkirch
Wien-Premiere: 10.Oktober 2001 im Theater Kosmos Wien

Regie: Evelyn Fuchs
Es spielt: Vivien Bartsch
Buto-Tanz: Natascha Löß
Kostüme: Heidemarie Just
Bühne: Doris Hotz
Musik: Kai Arend

Pressestimmen

Eine Grenzerfahrung . . .
… bietet das Projekttheater: Hingehen!

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 05.05.2001

Sie verweigern die Nahrungsaufnahme, absolvieren ein strenges Bewegungsprogramm, machen sich den Körper, die eigene Behausung zum Feind und entfremden sich damit der Welt – bis zum Tod. Andreas Staudinger hat ein Stück über diese Menschen – vorwiegend sind es junge Frauen – geschrieben, das Projekttheater hat es umgesetzt: sprachlich und in Bildern, die sich nicht aufdrängen und damit umso tiefer einprägen.

Magersucht und Essstörungen sind kein junges Phänomen. Autor Andreas Staudinger lenkt bewusst etwas ab von der gegenwärtig ins Gerede gekommenen Modebranche, die zur Kleiderhaken-Optik tendiert, und nahm sich ein Frauenschicksal aus den zwanziger Jahren für seinen im Herbst letzten Jahres in Wien uraufgeführten Text „Fremd Körper“ zum Anhaltspunkt. Ein poetischer Monolog, in dem – klug eingesetzt – sprachlich Rituale nachgezeichnet sind, denen sich die Hauptfigur im Alltag unterwirft, skizziert Verweigerung. Rasch betrachtet ist es das Verweigern von Reproduktion: Nahrung und Sexualität werden zur ekelhaften Angelegenheit. Grundsätzlich geht es auch um zeitlos kulturelle Fragen. Wo und wann gilt was als Inbegriff des Begehrenswerten, inwieweit wird es bedrohlich bzw. lebensbedrohlich? Staudinger hat sich behutsam in die Innenwelt einer Betroffenen vorgewagt. Auf die sprachliche Raffinesse – die auch Sehnsüchte zum Ausdruck bringt – wurde bereits verwiesen, die Bühnentauglichkeit bleibt über den Einsatz des Tanzes gewahrt, die Thematik selbst tritt allerdings auch auf der Stelle. Ist das Problemfeld umrissen, gibt es keine neue Erkenntnis mehr.

Was die gut eineinhalb Stunden damit durchgehend trägt, ist die Präsenz von Performerin und Schauspielerin. Regisseurin Evelyn Fuchs hat das Problem des Verinnerlichens mit der jungen Vivian Bartsch gut erarbeitet. Natascha Wöss überträgt etwa mit Mitteln des Butoh-Tanzes die Drangsalierung des Körpers. Die Strangulierung mit dem Maßband darf man als etwas banales Bild empfinden, der transparente Bühnenraum (Doris Hotz) bietet dafür vielschichtigere Auseinandersetzung.

Heftiger Applaus nach der – nachvollziehbaren – kurzen Reserviertheit des Publikums.

Ein tödlicher Wettkampf mit dem eigenen Körper

Brigitte Kompatscher
NEUE Vlb Tageszeitung, 05.05.2001

Aggression, Wut, Zorn und zugleich Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit – eine Frau gefangen in einer unheilvollen Schlacht mit ihrem eigenen Körper, einem Kampf, der nicht zu gewinnen ist – „Fremd Körper“ von Andreas Staudinger.

Direkt und fordernd behandelt der gebürtige Oberösterreicher Andreas Staudinger in seinem Text das Thema Magersucht und Essstörungen, er erzählt keine Geschichte drumherum, sondern konfrontiert mit der Darstellung der psychischen Situation – vom Individuum ausgehend, das er nicht verlässt, wird eine Vielzahl an Aspekten, Perspektiven, an Aufdecken von Hintergründen geliefert.
Genauso direkt setzt Regisseurin Evelyn Fuchs den Text für das Projekttheater Vorarlberg um. Die Frau (Vivian Bartsch) steht allein im Raum (Bühne Doris Hotz/Erika Lutz) – getrennt von ihrem Körper, ihrem „Fleisch“, mit dem sie sich in einem Zweikampf befindet. „Mein Körper und ich sind im Krieg“ – ein grausamer Kampf, an dessen Ende nur Verliererinnen übrigbleiben können. – Es sind beklemmende Bilder und eine dichte Atmosphäre auf der Bühne, geprägt durch das packende Spiel von Vivian Bartsch und die berührende Performance von Natascha Wöss, die einen starken Eindruck hinterlassen.

Die Frau ist dem auswegslosen Kreislauf aus von außen vorgegeben Bildern, die übernomen werden und zu extremen, nicht erfüllbaren Ansprüchen werden, ausgeliefert. Jeder Bissen Nahrung wird zur Niederlage, die Umwelt zur Gefahr, vor der frau sich verstecken muss, der frau etwas vorspielen und verheimlichen muss. Alles muss diesem sinnlosen Kampf untergeordnet werden – mit Zynismus und scharfem Verstand wird die eigenen Situation analysiert, ohne jedoch einen Ausweg zu finden. Die Grenzen zwischen Leben und Tod verschwimmen – Bilder einer Agonie entstehen, die das Sterben nicht zur Hoffnung, sondern zur Erlösung aus dem nicht mehr aushaltbaren Zustand werden lassen.

Aufwühlend

Die intensivsten Momente enstehen, wenn die Frau ihren Zorn und ihre Wut herausschreit, unterstützt von verstärkender Musik (Kai Arend), oder der Körper an die Grenze zur Erschöpfung getrieben wird, zwanghaft, fast manisch. Es sind zugleich Momente, wo wiederum die Grenzen verschwimmen, wo reale Augenblicke in irreale übergehen, wo die Geschwindigkeit schneller wird, wo ein Weg in eine Richtung vorangetrieben wird – um dann wieder zu scheitern.

Andreas Staudingers „Fremd Körper“ zeigt radikal auf, welchen Bildern und Vorstellungen Frauen ausgesetzt sind und wie sie fast zwangsläufig daran scheitern müssen – es ist ein Stück, das die allgemeine Tragik an der einzelnen Frau spür- und sichtbar macht, in einer Inszenierung, die die ZuschauerInnen direkt konfroniert.

Ein aufwühlendes Stück, das gegen Ende einige Längen aufweist, denen eine Kürzung gut tun würde. Insgesamt aber ein Theatererlebnis voller Spannung, Dramatik und einem Realitätsbezug, der erschaudern lässt.

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