Angst essen Seele auf

von Rainer Werner Faßbinder

„Das Glück ist nicht immer lustig“ – dieses Zitat stellte Rainer Werner Fassbinder seinem Stück „Angst essen Seele auf“ voran. Fassbinders Melodram erzählt die Geschichte der Witwe Emmi, die einen zwanzig Jahre jüngeren Marokkaner kennen und lieben lernt, ihn heiratet. Die Widerstände, mit denen die beiden nach innen wie nach außen zu kämpfen haben, sind wohl heute nicht anders als 1974, zur Entstehungszeit des Theaterstücks.
Ein exemplarisches Kunstwerk gegen Vorurteil, Diskriminierung, Rassenhass, Ausgrenzung, Opportunismus, Einsamkeit und Intoleranz.

Premiere: 18.Jänner 2001 im Hallenbad Feldkirch

Regie: Walter Hiller
Es spielen: Barbara Dorsch, Eddie Jordan, Evelyn Fuchs, Maria Hofstätter, Dietmar Nigsch, Christian Lemperle
Bühne/Kostüme: Renate Schuler

Pressestimmen

Minimalismus öffnet die Augen für Wesentliches

Walter Gasperi
NEUE Vlb Tageszeitung, 20.01.2001

Dass Rainer Werner Fassbinders Stück „Angst essen Seele auf“ auch nach knapp dreißig Jahren nichts von seiner Aktualität verloren hat, zeigt die neue Produktion des Projekttheater Vorarlberg im Reichenfelder Hallenbad.

Das Bühnenbild ist an Kargheit kaum zu überbieten: Sechs verschiebbare Spanplattenquader reichen aus, um die verschiedenen Handlungsräume anzudeuten.

Die ältere Putzfrau Emmi (Barbara Dorsch) lernt in einer Kneipe den deutlich jüngeren Marrokaner Ali (Eddie Jordan) kennen, sie verlieben sich, sie heiraten. Doch die Umwelt reagiert – wie in der Vorlage für Fassbinder „All That Heaven Allows“ auf Rock Hudsons und Jane Wymans Liebe – ablehnend: Ausländerfeindlichkeit mit den typischen Vorurteilen wird bei Nachbarn und Arbeitskollegen ebenso wie bei Emmis eigenen Kindern deutlich. Und nahtlos geht dieser offene Hass schließlich über in Verachtung, die hinter berechnender Freundlichkeit versteckt wird.

Eine Alltagsgeschichte und auch die Sprache ist die des Alltags. Die zu Beginn zentralen Themen Einsamkeit und Sehnsucht treten in den Hintergrund und in 30 kurzen Szenen wird schlaglichtartig ein Blick auf den Umgang unserer Gesellschaft mit Menschen anderer Herkunft geworfen.

Rollen sind auswechselbar

Modellcharakter hat dieses Stück, keine vielschichtigen Charaktere werden gezeichnet, sondern Typen: die ArbeitskollegInnen im Overall, die neugierigen Nachbarinnen, der profitsüchtige Kaufmann. Mehrfachbesetzungen machen ihre Austauschbarkeit deutlich: Evelyn Fuchs, Christian Lemperle, Maria Hofstätter, Dietmar Nigsch meistern jeweils drei bis vier Rollen mit Bravour. Und auch das Publikum wird ein Teil dieser Gesellschaft, wenn Emmi, dem Zusammenbruch nahe, mit starrem Blick in den Zuschauerraum klagt: „Glotzt doch nicht so, das ist mein Mann!“

Die Kürze der Szenen lässt allerdings den beiden einfühlsam agierenden HauptdarstellerInnen Barbara Dorsch und Eddie Jordan wenig Raum die Rollen zu vertiefen. Die Dramaturgie bedingt den raschen Abbruch emotional bewegender Momente. In diesen bruchstückhaften Szenen gelingt es dem Regisseur Walter Hiller dennoch manchmal fast wortlos, ruhig, aber mit großer Intensität Situationen dieser Paarbeziehung von der ersten Begegnung bis zum schweigenden Nebeneinander zu schildern.

Hillers Regie setzt auf Reduktion und Minimalismus: Der/Die aktive ZuschauerIn ist gefordert – er/sie muss die einzelnen Teile zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Gefühl und Kopf werden gleichermaßen angesprochen, auf inszenatorische Schnörkel und große Gesten wird verzichtet. Nur ein Handy als einziges kurz auftauchendes Requisit macht deutlich, dass die Geschichte in unserer Zeit spielt. Auf alle anderen Äußerlichkeiten verzichtet Hiller. Die Abstraktion verleiht dem Stück Zeitlosigkeit und universale Gültigkeit und der Minimalismus öffnet den Blick auf das Wesentliche.

Zwei Menschen unter Monstern . . .

Edgar Schmidt
Vorarlberger Nachrichten, 20.01.2001

Im Feldkircher Hallenbad im Reichenfeld konnte nach etlichen finanziellen Durststrecken erfreulicherweise nun doch eine neue Produktion des renommierten Projekttheaters Vorarlberg über die Bühne gehen. Rainer Werner Fassbinder (1946-1982), der provokante deutsche Sozialkritiker als Filmschaffender wie auch als Autor, schuf mit dem Film „Angst essen Seele auf“ (als Protagonistin brillierte unvergesslich Brigitte Mira) ein exemplarisches Kunstwerk gegen Vorurteil, Diskriminierung, Rassenhass, Ausgrenzung, Opportunismus, Einsamkeit und Intoleranz.

Die erwiderte Liebe einer alternden Frau zu einem viel jüngeren Schwarzen bringt neben der Ausländerproblematik auch noch die intime, zwischenmenschliche Fassette der sehr oft tabuisierten Sexualität im Alter ins Spiel. Regisseur Walter Hiller hat das aus dem Fassbinder-Film von 1973 entwickelte gleichnamige Stück „Angst essen Seele auf“ mit seinem Stammensemble und zwei profilierten Gästen inszeniert; die bejubelte Premiere fand am Donnerstagabend statt.

Der ausgesprochene Glücksfall der neuen Produktion des Projekttheaters sind die Darsteller der alternden Putzfrau Emmi und ihres aus Marokko stammenden Freundes und späteren Mannes Ali – Barbara Dorsch und Eddie Jordan.

Grandioses Duo

Die beiden Protagonisten spielen, nein, durchleben ihre von erbärmlicher Beschränktheit angefeindete Existenz als ungleiches, aber stets liebendes Paar mit berührender Gelassenheit und einer unspektakulären Leidensfähigkeit, welche gerade durch ihre vielen leisen Zwischentöne bis ins Innerste betroffen macht. Das sind Menschenschicksale pur – ein grandioses Duo! In insgesamt problematischem Kontrast zu Emmi und Ali agieren die sie umgebenden Personen in Mehrfachbesetzung – Evelyn Fuchs, Chris tian Lemperle, Maria Hofstätter und Dietmar Nigsch.

Die permanente, gut gespielte Überzeichnung (diese Monster an Unmenschlichkeit sind mit Klischees beladen, haben statt Gesichtern Fratzen, ihre Sprache besteht nur aus Gemeinheiten – inkl. Vorarlberger Dialekt – oder sie brüllen ordinär) ist gewiss effektvoll; das Böse im „normalen“ Alltag wird somit aber leider oft zur Karikatur, was dann wenig Sinn macht. Und der daraus resultierende übergroße moralische Zeigefinger wäre auch entbehrlich. Die Inszenierung Walter Hillers benötigt kein Bühnenbild – die prägnanten Kurzszenen spulen in filmischer Manier (mit einem mobilen Podium in der Bühnenmitte) ab.

Die Ausstattung besorgte versiert Renate Schuler. Fassbinders Botschaft ist leider zeitlos aktuell geworden – das Projekttheater kann sie insgesamt sehr packend, wenngleich auch etwas zu plakativ, vermitteln.

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