Der Drang

von Franz Xaver Kroetz

Jubiläumsproduktion 15 Jahre Projekttheater!

Unter Bayerns Sonne, wo der Himmel blau, der Föhn stark und die Begierden heftig sind, bleibt nichts im Verborgenen. Ein erbarmungsloser Nahkampf, eine grell–groteske Komödie.

Premiere: 30.April 2003, Hallenbad Feldkirch

Regie: Susanne Lietzow
Es spielen: Maria Hofstätter, Dietmar Nigsch, Franz Krutzler, Sandra Bra
Bühne/Kostüme: Renate Schuler
Bühnenbau: Erika Lutz, Bernhard Köb
Lichtdesign: Bartek Kubik
Organisation: Johannes Hoschek

Pressestimmen

"Der Drang" und die Rückkehr zur Ordnung
Ein sauberes Einfamilienhäuschen auf viel brauner Erde – in der Projekttheater-Produktion von F. X. Kroetz grober Farce „Der Drang“ lassen die Figuren im Dreck die Sau raus. Die Premiere wurde heftig gefeiert..

Brigitte Kompatscher
Neue Vorarlberger Tageszeitung, 02.05.2003

Eine Friedhofsgärtnerei ist in Franz Xaver Kroetz „Der Drang“ Schauplatz einer grellen Groteske über unbefriedigte sexuelle Triebe und Sehnsüchte. Hilde (Maria Hofstätter) und Otto (Dietmar Nigsch), ein spießiges, „g´ höriges“ Ehepaar, führen den Betrieb und eine scheinbar normale Beziehung: Er wünscht sich zwar am Abend die Sexbombe im Bett und sie will nur ihre Ruhe, weil sie müde ist, aber die Arbeit und die „Ordnung“ schweißen die beiden zusammen.

Sex als Triebfeder
Bis Hildes Bruder Fritz (Christoph Franz Krutzler) auftaucht , ein Exhibitionist, der im Gefängnis war. Seine Anwesenheit bringt Ottos Sexualphantasien an die Oberfläche und Sexualität wird zur bestimmenden Triebfeder. Wobei es sich aber ausschließlich um männliche Sexualität und Vorstellungen handelt, die im Stück ihre Berechtigung zu haben scheinen.
Die in der Gärtnerei angestellte Mitzi (Sandra Bra), die Fritz sexuelle Avancen macht und dabei von „Liebe“ spricht, dient, nachdem Fritz sie abgewiesen hat, Otto zur
Befriedigung seiner Triebe. Sehr bald aber unternimmt die betrogene Ehefrau einen Mordversuch an Mitzi – von Otto hingegen wird die ehemalige Geliebte verstoßen und als Hure betitelt. Letztendlich verlässt Fritz das Haus und „Ordnung kehrt zurück in diesen Betrieb“. Es wird wieder gearbeitet.
Susanne Lietzow hat „Der Drang“ mit Tempo und rauem Witz inszeniert und zahlreiche Szenen grotesk überzogen – drastisch und zuweilen nahe an der Grenze zum Lächerlichen lässt sie die Figuren agieren. In Renate Schulers Bühnenbild wühlen sich die Personen durch den Dreck, pflanzen Blumen auf den Gräbern und leben ihr unbefriedigtes, kaputtes Leben.

Macho und Tyrann
Dietmar Nigsch glänzt als einseitig triebdominiertes männliches Individuum, als alles beherrschender Macho und Tyrann, nach dessen Spielregeln sich die anderen richten müssen. Feinere, differenziertere Züge verleiht Maria Hofstätter ihrer Hilde.
Ihr Spießbürgertum ist nicht so präsent, vielmehr sind ihre Handlungen von Verständnis und Verzweiflung gekennzeichnet. Sie ist mehr Opfer ihres Mannes als Täterein, sogar in dem Augenblick, in dem sie Mitzi den Stein auf den Kopf wirft, dass das Blut nur so spritzt. Sandra Bra muss teilweise als leicht vertrottelt agieren, was ihrer Figur leider ein wenig die Glaubwürdigkeit nimmt und ihre gerechtfertigten Sehnsüchte relativiert. Der Fritz von Christoph Krutzler bleibt eine geheimnisvolle, wenig durchschaubare Figur.
Durch die Deftigkeit und die Vordergründigkeit der Inszenierung geht jede Tragik verloren, sie ist nur ansatzweise im Spiel Hofstätters spürbar – vielmehr gerät das Volksstück zur spaßigen, lauten und schlagkräftigen Komödie, zur durchaus adäquat ungesetzten Überzeichnung und Farce, die dem Publikum größtes Vergnügen bereitet hat.

Dem Hosentürl entkommen
Projekttheater – „Drang“ im Feldkircher Reichenfeld-Hallenbad bejubelt

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 02.05.2003

„Der Drang“ des bayerischen Autors Franz Xaver Kroetz ist ein Paradestück der Schweinigel-Ära. Mit reichlich Regie-Witz ist es, wie das Projekttheater beweist, auch in der heutigen postkotalen Theaterzeit spielbar:
Nicht, dass man es bedauern würde, dass auf den Bühnen vom Stellungsechsel bis zum Personal schon alle Sex-Spielarten so durchexerziert wurden, dass sie heutzutage nich mehr zitierbar sind. Aus das man viel zu sehen bekam, was man in dieser Detailtreue gar nie sehen wollte, stört wenig, wenn es darum geht, die Verlogenheit in einer Gesellschaft aufzuzeigen, in der es dann zu gefährlichen Auswüchsen kommt.
Aber – um zum „Drang“ zurückzukommen -, das so genannte moderne Volkstheater; das die gemütliche Fassade zwar zeigt, aber vor allem den Blick dahinter zulässt, hält auch Fallen bereit. Und in diese tappte man bei der Uraufführung des „Drang“ vor etwa einem Jahrzehnt am Zürcher Schauspeilhaus. Einfach gesagt, man erlebte das Treiben in der Friedhofsgärtnereifamilie Holdenrieder aus jener Hosentürlperspektive, der man beim Projekttheater entkam. Regisseurin Susanne Lietzow treibt die Triebgeschichte mit viel Witz voran, setzt auf Tempo und Komik, wenn die Hosen runtergelassen werden, und vergisst dennoch nicht dann innezuhlten, wenn das Gefühlsleben blank liegt.

Vor allem in der Lendengegend
Arbeitsbereich und hart ist der Alltag eines Gärtnerpaares und seiner Gehilfin. Grob sind sie geworden, diese Menschen, deren Phantasie erst dann wieder angeregt wird, wenn Exhibitionist Fritz aus dem Gefängnis zurückkommt. Der denkbar ungünstigste Auslöser; denn die Sehnsucht nach Liebe bahnt sich weniger auf der Höhe des Herzens einen Weg, sondern wirkt vor allem in der Lendengegend.
Unbeholfenheit und Vorurteile führen zum Fiasko. Kroetz erspart uns keinen Schlag unter die gürtellinie. Und wenn Ehefrau Hilde- nachdem sie in Reizwäsche ihren Ehemann zurückerobert hat – der einstigen Nebenbuhlerin Mitzi erklärt, dass man schließlich kein Unmensch sei, will man gerade das wohl nicht so recht glauben.
Die „Sau rauszulassen“, war in der scheinbaren Gärtner-Idylle (Renate Schuler entwarf im Übrigen ein grandioses, wandelbares Blumenerde-Bühnenbild) kein heisamer Schritt.
Man nimmt die Arbeit wieder auf. Und denoch, neben der stoischen Gelassenheit, die Eindringling Christoph Franz Krutzler in Kabarettmanier verdeutlicht, gelingt es Sandra Bra (Mitzi) und Maria Hofstätter (Hilde) bestens, die verletzte Seele hinter der Abgestumpftheit durchschimmern zu lassen. Otto kommt diesbezüglich schlechter weg, aber vielleicht wollte das Dietmar Nigsch so. Und großartig ausgeführt ist die hier hinzugekommene Rolle des alleine gelassenen Kindes Susi durch Estefania Miranda-Rojas.

Bayerische Freinacht im Plüsch-Ambiente
Projekttheater öffnete „Projekt Lounge“

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 02.05.2003

Trendiger Chic muss sein, wenn ein Theater; das bislang Trends kreierte anstatt ihnen hinterher zu laufen, sein 15-Jahr-Jubiläum feiert.

Bis Mitte Mai spielt das Projekttheater nun im Feldkirch Reichenfeld-Hallenbad, und weil fast an jedem Abend auch neben der einstigen Schwimmhalle viel los sein soll, wurde zur Premiere die so genannte „Projekt Lounge“ eröffnet.
Termingerecht in der Freinacht (Nacht vor dem 1. Mai) offerierte man Weißwürste, Brezn und die „Passauer Saudiandln“ (Barbara Dorsch und Gerlinde Feicht).
Keine Frage, dass ein freches Kabarett trotz des urbayerischen Zungenschlags kein weiß-blaues Ambiente braucht. In Plüschsesseln und auf smarten Ledersofas wsird man demnächst die Kunstpfeiferin Jeanette Lips von Lipsdrill ebenso genießen können wie Travestie-Künstler und Musiker.

Der verflixte "Drang" unterm Bauchnabel
Projekttheater Vorarlberg: Kroetz -Premiere im alten Hallenbad

Edgar Schmied
Radio Liechtenstein

Das vom Vorarlberger Schauspieler Dietmar Nigsch und Freunden vor 15 Jahren gegründete Projekttheater feiert derzeit im alten Hallenbad in Feldkirch sein Jubiläum mit einem „starken“ Stück von F. X. Kroetz, „Der Drang“.
Diese Jubiläumsproduktion reiht sich in gewohnter Projekttheater-Qualität an die bisherigen Erfolge der 15 Jahre, welche aber allemal ausgefahrene Programmbahnen vermieden und gerade deshalb durch ihre provokante Eigenwilligkeit ein treues Stammpublikum erworben haben. Die Wahl und die Realisierung des Jubiläumsstückes „Der Drang“ kann mit vollem Recht als rundum stimmiger Volltreffer bezeichnet werden – das jubelnde Premierenpublikum wollte die Künstlerschar nicht mehr von der Bühne im Hallenbad gehen lassen.
Eine Bühne, die übrigens aus vielen Kubikmetern Gartenerde besteht, spielt der Plot doch in einer Gärtnerei bzw. auf dem nahe gelegenen Friedhof.

Ein echter Kroetz
Da ist das Ehepaar Otto und Hilde, bieder arbeitende Friedhofsgärtner samt Gehilfin Mitzi – und Hildes Bruder Fritz, ein notorisch-hemmungsloser Exhibitionist, der wegen solchen Tuns gesessen ist und gerade aus dem „Häfen“ heimkehrt. Er will jetzt eigentlich seine Ruhe, Pillen haben ihn ohnehin stumpf gemacht. Doch da wird die eher farblose Mitzi hysterisch-scharf auf ihn, und es folgen weitere, unerwartete Attacken des nun mehrfach wütenden „Drangs“ unter der Gewiss kein – wie könnte es bei Kroetz anders sein – beschaulicher Theaterevent. Was die Regisseurin Susanne Lietzow aber schuf, ist ebenso beklemmend wie auch ergötzlich. Sie besitzt das messerscharfe Augenmaß für Realistik und ironische Überhöhung und machte das erdige Waten im Dreck von Sex, Perversion und ordinärer Direktheit Szene für Szene zum amüsant-stachligen Theatererlebnis, das nie peinlich wird; kongenial auch die für Bühne und Kostüme verantwortliche Renate Schuler.
Allein er Einfall des auf der Erdbühne thronenden Häuschens mit seinen „Lichtspielen“ oder die Auf- und Abgänge in Erdlöcher bzw. Gräber haben einen originell-herben und doppelbödigen Charme sondergleichen.
Natürlich läuft das Projekttheater-Ensemble in diesem Ambiente zur Hochform auf.
Seine Stars Maria Hofstätter und Dietmar Nigsch als Gärtnerehepaar spielen mimisch und verbal alle „Stückeln“ einer vom „Drang“ versauten Streitgemeinschaft.
Menschliche Momente fehlen dennoch nicht. Sandra Bra als Mitzi wühlt sich geil und echt im Dreck, doch schimmert da auch immer wieder ein bisschen „arme Seele“ mit Liebessehnsucht durch. Neu beim Projekttheater-Team diesmal Christoph Franz Krutzler als „Wixer“ Fritz – massig, dumpf, jetzt harmlos; der „Drang“ ist ihm abhanden gekommen, eine tragische Figur.
Rätselhaft bleibt die Rolle des „Kindes“ im Ensemble. Hat dieser Kroetz Tiefgang?
Jein, es sei denn die Lehre, das der verflixte „Drang“ die Leut ganz schön närrisch und verzweifelt machen kann und dass „Liebe“ das wohl am meisten missverstandene Wort ist und bleibt.

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