Die Bettleroper
von John Gay
20 Jahre Projekttheater-Jubiläumsproduktion nach John Gay
in einer Bearbeitung von Susanne Lietzow (Text) Gerhard Gruber (Komposition)
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Komisch, sterbenstraurig, messerscharf
Ein sinnlich barocker Einblick in die unterste Unterwelt – in der die Lebenserwartung so gering ist, dass jeder Tag ein großer Tag zum Überleben ist.
Premiere: 05. März 2009 im Hallenbad Feldkirch/Vorarlberg
Regie: Susanne Lietzow
Es spielen: Peter Badstübner, Sandra Bra, Nadja Brachvogel, Gerhard Gruber, Maria Hofstätter, Martin Horn, Dietmar Nigsch, Sebastian Pass, Martina Spitzer und Margarete Tiesel
Ausstattung: Marie Luise Lichtenthal
Bühnenbau: Roland Ploner
Licht: Bartek Kubiak, Gerhard Grasböck
Assistenz: Nathalie Lutz
Pressestimmen
Bis zur Glückseligkeit gejuchzt
Projekttheater dreht so groß auf wie noch nie – zum Gaudium des Publikums.
Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten 07.03.2009
Feldkirch (VN) – Gut, Brecht und Weill (vor allem Weill), die konnten schon etwas und so gesehen nimmt ihre „Dreigroschenoper“ – entstanden nach der Auseinandersetzung mit John Gay`s 300 Jahre alter „Bettleroper“ – zu Recht den hervorragenden Platz in der Theatergeschichte ein. Wer allerdings sieht, was das Projekttheater Vorarlberg nun mit Gay treibt, der kommt rasch zum Schluß, dass über Mackie Messer bzw. Macheath, Polly, Lucy und Peachum bis zum Premierenabend am Donnerstag im Alten Hallenbad in Feldkirch noch lange nicht alles gesagt war.
Verdichtung
Und dass man kein Orchester und auch kein Kammerensemble braucht, wenn man mit Gerhard Gruber einen Komponisten hat, der den Schauspielern Juchzer und Schluchzer auf die Kehle schreibt und dazu in seiner Percussionskammer alle Töne und Melodien erzeugt, um das wilde Treiben entsprechend zu untermalen oder gar zu tragen, steht zudem gleich einmal fest.
Ausstatterin Marie Luise Lichtenthal geht ähnlich vor: Alle Kostüme, die sich während des zwanzigjährigen Projekttheaterbetriebes angesammelt haben (und noch einige mehr), scheinen den Bühnenberg zu bilden, auf dem gekraxelt, gesuhlt, gefeilscht und gemordet wird. Verdichtung lässt sich wohl kaum augenscheinlicher versinnbildlichen, der Zustand der Gesellschaft wohl auch nicht.
Die „Bettleroper“ handelt von denen da unten, die ein getreues Abbild von denen da oben (die sie vor der Krise vielleicht noch waren) ergeben. Damit das alles nicht zur Fratze verkommt, braucht es die ordnende Hand. Regisseurin Susanne Lietzow liefert sie und sie lässt ihre Schauspieler Peter Badstübner, Margarete Tiesel, Sandra Bra, Sebastian Pass, Dietmar Nigsch, Nadja Brachvogel, Martin Horn, Martina Spitzer und Maria Hofstätter so schrill aufspielen wie nur möglich und so ernst erscheinen, das der Überlebenskampf nie, wirklich nie, dem bunten Gesamtbild geopfert wird.
Feinarbeit
Dem jubelnden Publikum wird der Spaß freilich nicht ausgetrieben. Und dennoch, konzentrierte Feinarbeit stellt unmissverständlich klar, dass man sich hier ebenso in die Glückseligkeit juchzt wie in den Tod.
Vergnüglicher Ausflug in die Welt der Mörder, Gauner und Huren
Das projekttheater feiert mit einer äußerst gelungenen Adaption von John Gays „Beggar’s Opera“ lustvoll den 20. Geburtstag.
Peter Füßl
Kultur Zeitschrift, 06.03.2009
Der moralische Zeigefinger, der in Bert Brechts „Dreigroschenoper“ immer wieder erhoben wird, fehlt in John Gay’s „Beggar’s Opera“ aus dem Jahre 1728 weitestgehend – in der Bearbeitung durch das projekttheater-Team mutiert er höchstens mal zum gestreckten Mittelfinger. Denn hier feiern anarchische Spiellust, intelligente Regiearbeit und überschäumende Kreativität einen lustigen Dreier, an dem sich das Publikum rund eineinhalb kurzweilige Stunden lang delektieren kann.
Jede/r gegen jede/n – fies und witzig zugleich
Alles spielt sich auf, in und rund um einen gigantischen Altkleiderhaufen ab, der sich als multifunktionales Bühnenelement erweist und witzige Auf- und Abgänge ermöglicht. Hier residiert der brutale Gaunerkönig Peachum, von Peter Badstübner herrlich widerlich zum Leben erweckt, mit seiner unterwürfigen, aber ebenfalls nicht eben zartbesaiteten Gemahlin, von Margarete Tiesel durchaus vielschichtig angelegt. Nicht nur Peachums stotternder Unterläufel Filch, gespielt von Martin Horn, sondern einfach jede und jeder kämpft rund um die Uhr ums Überleben. Denn es ist eine Welt des Verbrechens und der Korruption – die besseren Karten hat, wer auf jegliche Moral pfeift und möglichst skrupellos andere an den Galgen bringt, um selbst den Profit einzustreichen oder den eigenen Kopf zu retten. Dieses grausame Spiel ist oftmals ein höchst vergnügliches. Etwa wenn Maria Hofstätter und Martina Spitzer als geniales Bühnenduo die Prostituierten Molly und Betty mit viel komödiantischem Talent über die Widerwärtigkeiten des Lebens räsonieren lassen. Hier kann zumindest anflugartig mal etwas wie Mitgefühl oder Zuneigung auftauchen, auch wenn es letztlich in dieser Welt nur um den schnöden Mammon geht. Aber nicht einmal in diesem von Angst und Gewalt diktierten Drecksleben geht es ganz ohne Liebe und Eifersucht. So wird der als Messerstecher bekannte Edelgangster Macheath, von Sebastian Pass mit dem stoischen Gesichtsausdruck eines Buster Keaton „ultracool“ auf die Bühne gebracht, gleich von zwei Frauen umworben. Von Peachums Prostituierten-Töchterchen Polly, die als einzige überhaupt liebesfähig erscheint, und von der hintertriebenen Lucy, der Nadja Brachvogel trotz oder gerade wegen des biederen Schulmädchen-Looks eine geradezu diabolische Bösartigkeit verleiht. Erstere wird vom smarten Pokerface Machheath geehelicht, letztere auf höchst bildhaft-anschauliche Art geschwängert. Aus dieser unglücklichen Dreiecksbeziehung entwickelt sich letztlich dann der Showdown des Stückes, an dem auch Lucys Vater, der Gefängnischef Lockit, von Dietmar Nigsch als aalglatter und korrupter Fiesling auf die Bühne gestellt, nicht unmaßgeblichen Anteil hat.
Keine Oper ohne Musik
Aber was wäre eine Oper ohne Musik? Der Komponist und Musiker Gerhard Gruber hat einen furiosen Soundtrack zu dieser Inszenierung geschrieben und versteht es, mit minimalen Mitteln Atmosphäre zu schaffen und dramatische Verdichtungen voranzutreiben. Seine reichhaltigen Erfahrungen mit Bühnenmusik und als Livemusiker zu Stummfilmen machen sich vielfach positiv bemerkbar – wunderbar, mit welchem Einfühlungsvermögen er auf die SchauspielerInnen einzugehen vermag. Und es gibt natürlich keinen ernsthaften Operngesang zu hören, aber auch keine Parodie auf die Oper. Dafür immer wieder Lied- oder Meldodienfragmente, die Atmosphärisches beitragen und in ihrer stilisierten Form auf vergnügliche Weise daran erinnern, dass das Stück nicht ganz zufällig „Bettleroper“ heißt.
Ausgeklügelt schlampige Präzision
Susanne Lietzow hält amüsante Überraschungen bereit und bietet den slangmäßig radebrechenden Protagonisten genügend Spielraum zur komödiantischen Entfaltung, sorgt aber letztlich für eine wohltuend stringente Handlungsführung. Dass zum 20 Jahre-Jubiläum nochmals all jene auf und hinter die Bühne geholt wurden, die mit der Geschichte des projekttheaters über die Jahre hinweg eng verbunden sind, macht sich durchaus positiv bemerkbar – so etwas wie ein positiver Teamgeist liegt in der Luft. Nie zuvor gab es einen gleichermaßen funktionstüchtigen wie opulenten Kleiderhaufen zu sehen, der mit den teils nuttig-frivolen, phantasievoll kreierten Kostümen zu einer atmosphärisch dichten Einheit verschmolz – Marie Luise Lichtenthal besorgte hier ein Meisterstück in ausgeklügelt schlampiger Präzision. Ohnehin klar, dass sich dieser bitterböse Seitenhieb Gays auf das englische Großbürgertum seiner Zeit ohne große geistige Verrenkungen auch auf unsere Gegenwart übertragen lässt – deshalb hat das projekttheater-Team dankenswerterweise wohl auch auf jegliche künstlich aufgesetzten Transformationsversuch in die Jetztzeit verzichtet.
„Bettleroper“: Barockes Spektakel einer Parallelwelt
Geniale Produktion des Projekttheaters zum 20-jährigen Jubiläum
Raimund Jäger
Feldkircher Anzeiger, 12.03.2009
Etwas „Großes, Barockes“ haben sie uns versprochen, die sich immer neu erfindenden Mitarbeiter und Schauspieler des Projekttheaters und etwas Großes haben die mehrfach ausgezeichneten Off-Theater-Heroen auch geliefert: „Die Bettleroper“ ist ein alle Sinne – und Gefühle – berührendes, opulentes, komisch-trauriges Spektakel. Eine würdige und denkwürdige Produktion anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Ensembles.
Seit vielen Jahren und meist im Alten Hallenbad liefert uns das Projekttheater eine tolle Produktion nach der anderen: nach der zu Recht prämierten HC-Artmann-Adaption „How much Schatzi?“, der rührenden Genreparodie „Killer Joe“ und dem morbid-dekadenten „Usher“ stand mit der „Bettleroper“ zum 20er des Ensembles (wobei sie hoffentlich nie ganz erwachsen werden mögen) erstmals reines Musiktheater auf dem Programm. Und auch das wurde souverän gemeistert.
„In 20 Jahren verschwinden“
Dass John Gays Barock-Satire „Beggars Opera” ein guter Nährboden für die bisweilen bizarr angelegten Figuren des Projekttheaters sowie auch und vor allem für die ausgezeichnete Bühnen-und Kostümbildnerin Marie Luise Lichtenthal sein wird, war abzusehen. Dass das Projekttheater auch hier wieder die Erwartungen toppte und ein erneutes Glanzlicht in die karge Halle setzen, verdient umso größere Anerkennung. Schon die Grundidee, das Ganze auf dem seit 20 Jahren zusammengetragenen Kostümfundus der von Dietmar Nigsch und Maria Hofstätter geleiteten freien Bühne auszutragen, ist genial. Die Protagonisten „verschwinden“ im wahrsten Sinne des Wortes im Bühnenbild – das hat optisch was und kann auch als ideelles Verschmelzen mit dem langjährigen Theaterbetrieb verstanden werden.
Knallige Outfits, intime Momente
Die Story tut wenig zur Sache, viel witziger ist, wie die Parallelgesellschaft der Halb-und Unterwelt gegenüber der (von nicht gerade sympathischen Figuren bevölkerten) Ober(Über?)welt funktioniert bzw. defunktioniert. Werte werden umgekehrt – so ist Heiraten etwa indiskutabel , Gefängnisaufenthalte aber alltäglich – bleiben aber innerhalb dieses Mikrokosmos dennoch wieder gleich starr und ritualisiert wie die von Gay (und vor allem Brecht) kritisierte „normale Gesellschaft“. Haus-Regisseurin Susanne Lietzow (bei der es auch nicht den geringsten Grund gäbe sie auszutauschen) bewahrt in all dem farbenprächtigen Spektakel, bei dem teilweise in Kunstsprache gesprochen wird, die Ruhe und lässt Massenszenen immer wieder sehr intime Momente folgen, mit dem Resultat, dass die Sympathien des Publikums vor allem den Schwächsten (Frauen, Gehandicapte) dieser Parallelgesellschaft gehören. Auch die Lieder waren ansprechend, was an Gerhard Gruber lag, der live exzellente Musik machte und die Songs den Schauspielern – die teilweise erstmals sangen – auf den Leib bzw. die Stimme schrieb. Einzige (kleine) Kritik: Die in die Handlung eingearbeiteten Soundeffekte waren ab und an etwas zu viel des Guten.
Hervorragende Darsteller
Traditionellerweise sind es die schauspielerischen Leistungen, die einen Projekttheaterabend von vergleichbaren Ensembles unterscheidet. Der wie immer auch diesmal famose „Star“ Maria Hofstätter hat es bei dieser Truppe gar nicht nötig (und tut es auch nicht), dieses Attribut überzustrapazieren, denn alle anderen Darsteller befinden sich auf Augenhöhe. Martina Spitzer als androgyn-asthmatisches Zwitterwesen, Sandra Bra als intensiv-naives Flittchen, Dietmar Nigsch als herrisch-hilfloser Wärter, Sebastian Pass als schmierig-schmeichelnder Gauner, Peter Badstübner als arrogant-irritierter Patriarch und die Neuzugänge Martin Horn als debil-devoter Laufbursche, Nadja Brachvogel als geil-grässliche Göre sowie Margarethe Tiesel als dümmlich-dominante Puffmutter sind allesamt brillant, voller Spielfreude und auch im Zusammenspiel dynamisch und vor allem präzise. Das waren keine Off- sondern absolute On-Leistungen, die in der freien Theaterszene ihresgleichen suchen.
Also zwingend anzusehen, Gelegenheiten gibt`s noch!
Krass und kunstreich
Das Projekttheater hat „Die Bettleroper“ nach dem Original aus dem barocken London neu bearbeitet. Ein besonderer Beitrag zum Händel-Jahr.
Anna Mika
Vorarlberger Tageszeitung, 07.03.2009
„The Beggar`s Opera“ war im London des 18. Jahrhunderts ein derartiger Erfolg, dass sie die – privatwirtschaftlich geführte – Operntruppe Georg Friedrich Händels in den Bankrott trieb. Die importierte Opera seria wurde also überwältigt von einem Musiktheater in der Landessprache, das die Zustände vor Ort aufs Korn nahm.
John Gay`s „Bettleroper“ führt ins krasse Milieu der Zuhälter und Dirnen, der Diebe und Mörder, wo jeder und jede jeden und jede jederzeit für Geld umlegt, wo man schneller als man denkt am Galgen hängen kann und wo es sensationell ist, ein Alter von 35 Jahren zu erreichen. Im barocken London war damit nicht der Untergrund gemeint, sondern vielmehr die Machenschaften der Herrschenden: Die Bettler saßen im Publikum.
Wer heute „Die Bettleroper“ aufführt, muss sie bearbeiten. Musikalisch ist dies dem Komponisten und Keyborder Gerhard Gruber eindrucksvoll gelungen. In seinen cool-technischen Klängen vernimmt man doch stets auch das barocke Instrumentarium, etwa ein Cembalo. Und so manche(n) der DarstellerInnen bringt er zum Singen, so Filch (Martin Horn), mit seinem koloraturartigen Gefiepe eine köstliche Parodie auf einen Kastraten oder die beiden Nutten, die rappen dürfen.
Kunstvoller Slang
Der Text, bearbeitet von der Regisseurin Susanne Lietzow, verbalisiert kaum mehr als die allerniedrigsten Instinkte. Hier wie auch bei den zweifelsohne höchst fantasievollen Kostüme (Ausstattung Marie Luise Lichtenthal) oder dem Luftballon-Schwangerenbauch von Lucy stellt man sich schon die Frage nach der Menschenwürde. Sehr kunstvoll ist jedoch der eigens für diese Produktion kreierte Slang.
Diese besondere Sprache so natürlich herüberzubringen wie überhaupt mit ihrem ganzheitlichen Einsatz beim Klettern, Robben und Kugeln über den bühnenbeherrschenden Kleiderberg, bieten alle DarstellerInnen, unterstützt durch eine minutiöse Regieführung, Großartiges: neben Martin Horn noch Peter Badstübner, Sandra Bra, Nadja Brachvogel, Maria Hofstätter, Dietmar Nigsch, Sebastian Pass, Martina Spitzer und Margarete Tiesel. Und wenn Polly und Macheath einander ihr „Ich liebe dir“ zusprechen, so entsteht sogar in diesem völlig perspektivelosen Umfeld ein Glücksmoment.
Das Publikum im oberen Raum des Hallenbads im Reichenfeld zeigte sich begeistert, so mancher der Lacher blieb aber im Hals stecken.