Dreck

von Robert Schneider

Ein Mann betritt die Bühne mit einem Strauß Rosen in der Hand. Er fängt an zu reden. Sad, so heißt der Mann, ist Araber. An den Abenden verkauft er Rosen, um sein Studium zu finanzieren. In einem großen Monolog erzählt Sad von sich und dem Land, aus dem er kommt, von seinen Erinnerungen, Träumen und Hoffnungen. Voller Poesie und doch immer wieder provozierend direkt beschreibt er sein Leben in einer deutschen Stadt, seine Erfahrungen mit Fremdheit und Verachtung. Er macht sich demütig zum Sündenbock, eignet sich die absurdesten Vorurteile an. Doch lässt er immer wieder unmissverständlich spüren, wer die wahren Schuldigen sind.

Dreck ist ein Stück, in dem der Ausländerhass und die Fremdenfeindlichkeit aus einer ganz anderen Perspektive her betrachtet werden – mit den emotional geprägten Ansichten eines Ausländers über das Leben in Deutschland.

Premiere: 13. Jänner 1994 im Theater am Saumarkt Feldkirch
Gastspiele 1994/95

Regie: Walter Hiller
Es spielt: Dietmar Nigsch

Pressestimmen

Die Angst liegt auf der Lauer
,,Dreck“-Premiere des ,,Projekttheaters Vorarlberg“ am Feldkircher Saumarkt

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 15.01.1994

Die Angst ist es, die dieses Stück beherrscht, Dietmar Nigsch redet, schreit und kämpft jedoch nicht mehr mit jener Vehemenz dagegen an, wie man es in ,,Dreck“-Aufführungen mit dem von Hamburg bis zum Bodensee berühmt gewordenen irakischen Rosenverkäufers schon erlebt hat, er ist bereits jene Figur, die zu verbergen sucht. Maskenhaft beginnt sein Redeschwall, und maskenhaft grausam endet er. Dazwischen hat die Angst viele Gesichter, Spiegelungen zwischen Bühne und Publikum traten nach zutage bei der Premiere der ,,Dreck“-Produktion des ,,Projekttheaters Vorarlberg“ am Saumarkttheater.

Regisseur Walter Hiller und Schauspieler Dietmar Nigsch scheinen sich in einem Punkt absolut einig zu sein: Beide sind überzeugt von der hohen Qualität, von der Ergiebigkeit der Sprachkomposition des Vorarlberger Autors Robert Schneider. Wir befinden uns nicht mehr in der schäbigen Behausung eines Ausländers in einer deutschsprachigen Stadt, die Atmosphäre ist eine ,,künstliche“, ein Tuch ist vom Boden aus über die Rückwand gespannt, einem Fotostudio gleich, auf dem Stuhl mit dem orientalischen Teppich könnte immer wieder eine andere Person Platz nehmen, betrachtet werden, wie ja auch die Figur des Sad in diesem Stück austauschbar ist. (Womit endlich einmal auch szenisch verdeutlicht wurde, warum wir über die Person selbst so wenig erfahren.)

Das Konzept geht auf

Nigschs Einstieg in den Text ist gewöhnungsbedürftig, wüßte man nichts über seine mit dem ,,Projekttheater Vorarlberg“ bereits erbrachten Leistungen, könnte man stutzig werden, wenn er seine Vorstellung ,,Ich heiße Sad. Ich bin dreißig Jahre alt… usw.“ brav aufsagt. Doch das Konzept geht auf. Die Angst hat von diesem Sad schon derart Besitz ergriffen, daß er die Verzweiflung nicht mehr offen auszudrücken wagt, wir erkennen sie hinter der Fassade, im Text, und wenn er dann zum Trommelwirbel (den er selbst erzeugt) doch schreit … ,,Haß ist so etwas ganz Großes“, sagt er, und in der Offenheit, in der uns dieser Satz durchdringt, ist er überaus beängstigend. Die Verinnerlichung des Ausländerhasses der Deutschsprachigen gipfelt in einem Schuldbekenntnis: ,,Dafür bin ich ganz allein verantwortlich“, kommt diesem Sad in einer Leichtigkeit über die Lippen, die enorm beklemmend ist. Kein Funken Larmoyanz ist mehr spürbar. ,,Lügen ist eine Mentalitätssache bei uns. Das hängt mit dem Erbgut zusammen“, sagt er und grinst. Und schließlich fordert er uns ja auf, mit dem Dasein der Ausländer in unserem Land ein Ende zu machen, entblößt dazu irrationale Ängste (der ,,Inländer“), Populisten und geistige Kleinkrämer, die nicht einmal merken, wie sehr sie sich selbst bedrohen und betrügen.

Sicher gut, daß es nach der nicht ganz befriedigenden Festspiel – Volkstheaterproduktion dieses Stücks jetzt noch eine gibt, die dem Publikum noch einige Zeit zur ,,Verfügung“ steht. Apropos ,,Leica“: Jenes vermeintlich ,,deutsche“ Wort, von dem Sad sogar träumt, müßte schon auf den Facettenreichtum des Textes, den Hiller berücksichtigt, hinweisen.

Dreck-Premiere: Zwischen Scheu, Haß und Wirtshaus
Die erste authentische Vorarlberger Inszenierung von Robert Schneiders ,,Dreck“ hatte am Donnerstagabend im Feldkircher Theater am -Saumarkt Premiere.

Alois Summer
NEUE Vlb Tageszeitung, 15.01.1994

Aus welchen Ecken das Thema „Ausländer“ auch aufgegriffen wird: Zurückbleibt stets Hilf-, Ratlosigkeit, ja Peinlichkeit. Da sind die intellektuellen Besserwisser, die sich in moralischen Attitüden suhlen und die faschistoiden Züge der Volksseele geißeln. Dort sind die Unverbesserlichen, die Fremde mit Plattheiten aus aller Herren Länder gebetsmühlenartig in den Dreck ziehen. Das Thema , „Ausländer“ ist eines, das – ist man ehrlich – die Sprache raubt.

Die gängigen Vorurteile

Zwischen diesen Polen bewegt sich ,,Dreck“ von Robert Schneider, das am Donnerstag im Feldkircher Saumarkttheater in der Inszenierung des Projekttheaters Vorarlberg von Walter Hiller Premiere hatte. Der Text kann sich stellenweise über die Klippen nicht hinwegretten. Er muß die gängigen Vorurteile zur Sprache bringen, sie steigern und doch aufheben. Diese Gratwanderung gelingt Schneider nicht immer.

Das beste aus dem Text aber haben Dietmar Nigsch, der den ägyptischen Rosenverkäufer Sad spielt, und Walter Hiller herausgeholt. Dabei erweist sich das kellerähnliche Theater am Saumarkt als idealer Aufführungsort. Während auf anderen Bühnen der Blick des Zuschauers nach oben gerichtet ist, betrachtet er im Saumarkt den Schauspieler von oben herab.

Ungekünstelte Sprechweise

Nigsch verblüfft durch seine Mimik und seine ungekünstelte Sprechweise. Besonders gelungen, weil intensiv, sind die Wutausbrüche, in denen Nigsch mit Holzprügeln außer sich vor Haß gegen sich selber und seine zweite Heimat auf zwei Blechtonnen hämmert. Anschließend nimmt er aus Scham alles zurück. Fällt wieder in jene Lebenshaltung zurück, die ihm Schutz gewährt, aber auch in die Verzweiflung und Zerstörung treibt.

Nigsch redet in seinen unzähligen Schattierungen von Aggression, Scham und Selbstverleugnung auf eine Art, daß deutlich wird, an wen sich seine Gedanken eigentlich richten: Ausschließlich an sich selber. Der Text wird als Bewußtseinsfluidum, als innerer Monolog lebendig. Der Zuschauer blickt in die seelischen Abgründe eines Gescheiterten, wobei die Tragik der Figur vor allem darin besteht, daß die suggestiven Hammerschläge der Verurteilungen und des Hasses längst in die eigene Identität eingeflossen sind, und daß er zum Spielball der Gesellschaft geworden ist. Nur noch so reagiert und agiert er, daß Erwartungen erfüllt werden. Das eigene Ich ist zerstört. Die Sprüche aus dem Gasthaus, die menschenfeindlichen Abqualifizierungen der Rassen und deren Kulturen, sind in das eigene Innere eingedrungen und lassen sich nicht mehr vertreiben.

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