Familiengeschichten. Belgrad.

von Biljana Srblanovic

Österreichische Erstaufführung

Die serbische Autorin Biljana Srbljanovic hat vor Ausbruch des Kosovo-Krieges dieses Stück geschrieben, das weder für noch gegen die Serben Stellung bezieht. Das weder für noch gegen eine andere ethnische Gruppierung ist. Sie erzählt ganz einfach über Menschen eines zugrunde gerichteten Staates. Sie erzählt über das, was Eltern ihren Kindern vermitteln und weitergeben – ein Perpetuum Mobile des Hasses und der Gewalt, das nie zum Stillstand zu kommen scheint.

Premiere: 13. Oktober 1999 im Hallenbad Feldkirch

Regie: Walter Hiller
Es spielen: Sandra Bra, Dietmar Nigsch, Maria Hofstätter, Christian Lemperle
Bühnenbau: Wolfgang Gratt
Ausstattung: Renate Schuler

Pressestimmen

Themen, die schmerzlich aktuell sind
Projekttheater spielt „Familiengeschichten Belgrad“ im Feldkircher Reichenfeld-Hallenbad

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 15.10.1999

Es ist ein Stück über einen konkreten Krieg, von einer Autorin, deren Texte im eigenen Land zur Zeit nicht aufgeführt werden dürfen. Was die junge Serbin Biljana Srbljanovic da entwirft, hat die Auseinandersetzung zwischen den Kulturen, den Nationalismus und den Haß aber nur bedingt zum Thema, Srbljanovic‘ Blick gilt dem einzelnen Menschen in seinem sozialen Gefüge, sie verzerrt ihn bewusst und fördert Dinge zutage, die in Vorarlberg – nicht nur weil der Balkankonflikt so nahe ist – geradezu schmerzlich aktuell sind.

Wenn da eine Mutter ihr Kind nach Drogen untersucht, wenn dabei von mörderischen Dealern und ,,fremden Söldnern“ die Rede ist, die ,,den Ausverkauf unseres Landes“ betreiben, dann wird man an Parolen erinnert, die auch österreichischen Wählern zunehmend genehm sind. Was tut die Autorin? Sie lässt Kinder Erwachsene spielen, erhebt eine therapeutische Maßnahme zum Kunstgriff, den sie geschickt variiert und mit absurden Elementen anreichert. Auch wenn die Autorin nicht den Fehler macht, hier zu urteilen, macht sie klar, dass die „Bürger eines zugrundegerichteten Staates“ (Srbljanovic) ihr Verhalten nicht allein mit der Extremsituation abtun können, in der sie sich befinden. Sie zeigt viel auf, was zu derartigen Situationen führt, braucht nicht korrekt zu sein in ihrer Analyse, ist aber genau genug, um trotz Überzeichnung relevante Defizite im Rollenverhalten und Zusammenleben auzumachen. Es mag dies auch schon alles aufgezeigt sein, in der Spielsituation, die sich mehr und mehr als Kampf ums Überleben darstellt, hatt es enorme Wirkung.

Mit der Brechstange

Das Projekttheater Vorarlberg hat dem Geschehen mit der Ausstatterin Renate Schuler einen konkreten Rahmen gegeben. Die Wand besteht aus Zeitungen und deutet auf die Problematik der medialen ,,Verwertung“ des Konflikts. Regisseur Walter Hiller weicht geschickt jeglichem angommenen kindlichen Verhalten aus und geht in der Derbheit, die er von Maria Hofstätter und Dietmar Nigsch (Milena und Vojin) zur Umsetzung der Überzeichnung verlangt, mitunter mit der Brechstange vor. Auch eine Möglichkeit, anderswo (das Stück wird gerade in Deutschland häufig gespielt) übergeht man einige banale Sequenzen mit koboldhaftem Agieren. Christian Lemperle (Andrija) und Sandra Bra (Nadezda) gehören zumeist die zarteren Töne. Gesamthaft ergibt sich ein Spiel, das über alle Einzelszenen sehr sehr nahe zu gehen vermag.

Betroffenheit über Familiengeschichten aus Belgrad

Margarete Schlegel
Der Standard, 15.10.1999

Als der Realismus mit den Ratten auf die Bühne kam, gab es einen Schock. Ähnlich war es, als die Bauernstücke von Xaver Kroetz einen Gegenpol zu den Salonstücklein zu bilden begannen. Nun gibt es eine neue Zäsur: Familengeschichten Belgrad von Biljana Srbljanovic. Die Realisierung durch Regisseur Walter Hiller und das Projekttheater im Feldkircher ,,Hallenbad“ wird ihnen hervorragend gerecht.

Ein grandioser Ansatz etwa ist der ,,Trick“, dass die vier Darsteller ebenso Eltern wie Kinder spielen. Dadurch wird mit beklemmender Deutlichkeit klar, dass der Teufelskreis nicht zu durchbrechen ist, sondern vererbt wird. Satzfetzen stehen. dafür: ,,Papa hat doch gesagt“ oder ,,hast du gehört, was Papa gesagt hat?“ Papa (Dietmar Nigsch) verprügelt den Jungen (Christian Lemperle) und Mutter erwischt auch gleich noch einen Schlag ins Gesicht. Unbeirrt wird weiter Suppe ausgeteilt. Mutter (Maria Hofstätter) zeigt erst dann so etwas wie ,,menschliche“ Züge, als ein völlig verstörtes Mädchen die Gebärdensprache eines Hundes annimmt.

Renate Schuler hat einen Bühnenbild gebaut, dass das – auch finanzielle – Elend deutlich visualisiert. Es gibt zwei wenig voneinander unterschiedene Ebenen. Rennen die Protagonisten ,,unten“ herum, sind die Kinder. Das Grauen überkommt einen, wenn man sieht, dass sie die Verhaltensmuster der Eltern in ihr Spiel hineintragen: mit allen Brutalitäten. Die Unvernunft regiert aber nicht nur das sogenannte Proletariat. Es gibt auch eine Szene in einem ,,intellektuellen“ Elternhaus. Hier nun regiert nicht der physische, sondern der psychische Terror, wenn auch unbewusst. Denn sogar das Söhnchen ist artig.

Familiengeschichten
„Familiengeschichten.Belgrad.“ von Biljana Srblanovic war erstmals in Österreich in einer Aufführung des Projekttheaters (Inszenierung Walter Hiller) zu sehen.

Brigitte Kompatscher
NEUE Vlb Tageszeitung, 15.10.1999

Die Geschichte kann beginnen wie sie will, sie endet mit Mord, Totschlag und Gewalt. ,,Es ist normal, dass Papa die Mama schlägt und es ist normal, dass beide die Kinder verprügeln“. Hoffnung wird im Keim erstickt, Denken ist verboten, die Angst vor hörenden Wänden all gegenwärtig. Eine abbruchreife Mauer, ein angeschnittener Raum mit schäbigen Möbeln, bildet das Bühnenbild (Ausstattung Renate Schuler), ein großer Karton wird zur Hundehütte – verkommen, primitiv.
Die ,,Familiengeschichten. Belgrad.“ der 30jährigen serbischen Autorin Biljana Srbljanovic wirken über lange Phasen nicht ausschließlich Belgrad-spezifisch – einzelne Episoden, kleine Geschichten im familiären Umkreis, Kinder, festgehalten in einem Milieu mit eigenen klar strukturierten Spielregeln, für Freiheit oder Widerstand ist kein Platz. Macht verläuft hierarchisch vom Stärksten zum Schwächsten – sozialer Darwinismus wird bis ins Extremste gelebt.

Rollenspiele

Sandra Bra als Nadeza agiert stark überzeichnet – ihr Spiel wird von einem Hauch des Irrationalen umgeben, eine Irrationalität, die allerdings schon in der Figur angelegt ist. Sie ist Mensch und Tier, Kind und Hund – ihre Sprache scheint verlorengegangen zu sein. Traumatisiert, verstört, bewegt sie sich über die Bühne. Angst dominiert ihr Verhalten, nur langsam gewinnt sie Zutrauen, um sich dann wieder zurückzuziehen. Ihr nahezu animalisches Verhalten wirkt irritierend und betroffen machend zu gleich – sie scheint fernab der anderen Figuren zu agieren.

Die Familie präsentiert sich in ständig wechselnden Rollen, das Schema Vater Vojin (Dietmar Nigsch), Mutter Milena (Maria Hofstätter) und Kind Andrija (Christian Lemperle) wird beibehalten. Teils verwirrend werden die Stücke in einander geflochten – Dietmar Nigsch ist einmal rollenspielendes Kind, dann wieder gewalttätiger Vater (eine Figur, in der er nicht ganz überzeugen kann), Maria Höfstätter trotziges Mädchen und unterwürfige Ehefrau; einige Male belustigend in ihrer Unterwürtigkeit.

Und das Kind, Christian Lemperle, ist angesiedelt irgendwo zwischen Monster und Teenie, wobei der Übergang in der Darstellung nicht immer nachvollziehbar ist.

In Walter Hillers Inszenierung treten der Serbien-Aspekt, der politische Krieg des Stücks in den Hintergrund (trotzdem mit Symbolik, die Frau wickelt weiß-rot-blaue Wolle auf, Flieger sind zu hören und anderes, gearbeitet wird) – die Figuren werden individuell gezeichnet – es sind mehr die einzelnen Individuen, die verstärkt in den Vordergrund treten, denn Themen. Trotzdem, die Gewalt, die dem Ganzen anhaltet, wird sichtbar und auch die innewohnende Kälte wird spürbar – und das nicht nur aufgrund der mehr als kühlen Temperaturen im Hallenbad (allerdings: es gibt Decken).

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