Ich, ein Jud – die Verteidigungsrede des Judas Ischarioth

von Walter Jens

In diesem eindringlichen Monolog tritt uns der Mensch Judas entgegen. Er fordert in seinem geschliffenen Plädoyer, dass es ohne seinen „Verrat“ keine Heilsgeschichte, kein Kreuz und keine Kirche gegeben hätte. In der Inszenierung wird die Einsamkeit des Judas´in einem anderen Außenseiter gespiegelt. Ein Engel als elegischer Schatten begleitet Judas in seinem Monolog.

Premiere: Jänner 1995 in der Ruprechtskirche Wien,
Österreichische Erstaufführung
Vorarlberg-Premiere: Juni 1995 in der Johanniterkirche Feldkirch

Gastspiele 1995/96

Pressestimmen

Jesus hätten sie wie mich ins Gas gejagt
Projekttheater mit der Verteidigungsrede des Judas Ischarioth in der Johanniterkirche Feldkirch

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 03.04.1995

Judas als Feindbild – die Nationalsozialisten untermauerten u. a. damit ,,bequem“ den Genozid am jüdischen Volk, die katholische Kirche hat an sich die Grundlage dafür mitgeschaffen. In verschiedenen Kirchen realisiert das Projekttheater nun die Verteidigungsrede des Judas – der geeignete Rahmen für Theateraufführungen dieser Art. In Feldkirch war es nun die Johanniterkirche.

Das Gebäude verleiht dem Stück nach der Premiere in der Wiener Ruprechtskirche (über die die ,,VN“ berichteten) eine weitere Dimension. Der in Renovation befindliche Sakralraum vermittelt eine Art Aufbruchstimmung. Die offenen Grabungsarbeiten könnten – wenn man so will – als sichtbare Zeichen einer Vergangenheitsbewältigung gedeutet werden, die der Text ja schließlich fordert. Wenn die Amtskirche zur Zeit auch nicht viel von solchen Bestrebungen verlauten läßt, so haben einzelne Pfarrherren, die Aufführungen in den Kirchen befürworteten, Bereitschaft zur Auseinandersetzung bekundet.

Der prominente Autor Walter Jens nennt die Tat des Judas in seinem Stück ,,Ich, ein Jud“ nicht Verrat, sondern Gehorsam, Judas habe sich dem Rollenspiel auf Leben und Tod um Jesu Willen gestellt. Thematisiert werden die Fehlinterpretation der Evangelisten und die Borniertheit des Kirchenvolkes, das Judas Ischarioth zum fast schauerlichen Feindbild ausmalte. Im Mittelpunkt steht nicht der konsequente historische Abriß (der im Rahmen eines Theaterstückes ohnehin nur bruchstückhaft möglich wäre), sondern der Gegenwartsbezug: ,,Ich bin ein Jud, der (Jesus) war es auch, den hätten sie genauso wie mich ins Gas gejagt.“

Dimension des Opferseins

Hier verteidigt sich ein Mensch, und hier klagt er an, das menschliche Schicksal hat Regisseurin Evelyn Fuchs unterstrichen. Dietmar Nigsch durchlebt und durchleidet den Monolog, und wer schon mehrere Projekttheaterproduktionen gesehen hat, der konnte erfahren, daß er sein Darstellungsspektrum ausweiten konnte. Nigsch ist dennoch kein lauter Ankläger, in den leisen Zwischentönen zeigt er mehr Stärke als in der harten Konfrontation, in der er in dieser Bühnensituation (neben dem schlichten Holz kreuz) zum Publikum aufblicken muß. Zwischentöne bringt zudem der Engel (Christine Wagner) ein – ein Klagegesang, der einerseits die Traurigkeit des Geschehens kommentiert und uns die Dimension des Opferseins näherbringt.

Es ist wichtig, dass es mich gibt »Ich, ein Jud«
Verteidigungsrede des Judas Ischarioth von Walter Jens

Wolfried Hanau
Uni aktuell, 16.01.1995

Bevor die Feierlichkeiten zum 50er unserer Republik so richtig beginnen, wird’s noch einmal nachdenklich. ,,Ich, ein Jud“, von Walter Jens, der dieses Stück vor circa zehn Jahren selbst an unserer Uni vorgestellt hat, ist nun in der Ruprechtskirche zu sehen. Ein Stück über Rassismus, Antisemitismus, über Ketzer, Randgruppen, Sündenböcke – und ein Stück über die ausweglose Trauer eines Menschen.

In einer Zeit des neu aufkeimenden Antisemitismus wird an einem Ort gespielt, wo vor genau fünfzig Jaren junge Studenten über einen Neuanfang nachdachten, aber auch an einem Ort, der vor fünfzig Jahren direkt über dem Gestapo- Hauptquartier lag: in der Ruprechtskirche in Wien. Nicht zufällig finden sich daher einige (un)passende Hitleraussagen als Mahnung im Programm.

In dieser österreichischen Erstaufführung spielt Dietmar Nigsch den Judas, einen Zerissenen, einen wie wir, Christine Wagner singt den Part des elegischen Engels, der die Gefühle des verletzten Judas ausdrückt und doch nicht mehr helfen kann. Evelyn Fuchs inszeniert aus der Betroffenheit des stets wiederkehrenden Antisemitismus, der Gewalt gegen das Fremde – aus leider aktuellem Anlaß, da wieder Synagogen brennen und Gräber Andersgläubiger geschändet werden, oder, auch nicht viel weiter, die andere, fremde Religion und Nationalität zum Haß und Krieg gegen andere herhält.

,,Ich, ein Jud"

Judith Rathmaier
Neue Vorarlberger Tageszeitung, 05.04.1995

In den vier Evangelien des Neuen Testaments hat Judas Iskariot eine eindeutige Rolle. Er ist der Verräter, der Sündenbock, der Erzfeind des gesamten Christentums. In ,,Ich, ein Jud“ verteidigt sich Judas und legt seine ihm zugeschriebene ,,Rolle“ nach 2000 Jahren klar.

Das Projekttheater Vorarlberg hat sich des Stückes von Walter Jens angenommen und einen beeindruckenden Rahmen gewählt – die Johanniterkirche in Feldkirch, die derzeit restauriert wird. Dietmar Nigsch, der schon als Sad in Schneiders „Dreck“ überzeugte, macht hier durch seine Eindringlichkeit einmal mehr betroffen.

Judas fordert Dankbarkeit, gäbe es ohne seinen Verrat (,,Verrat sagt ihr, ich nenne es Gehorsam“) doch keine Heilsgeschichte. Mit verzweifelten Appellen richtet er sich an das Publikum und somit an die Menschheit, die immer noch Sündenböcke sucht. Damit erhält das Stück seine erschreckende Aktualität, denn plötzlich klagt da nicht mehr nur Judas an, sondern scheinen die unzähligen, bis zum heutigen Tag Verfolgten ihr ,,schuldiges« Dasein zu verfluchen.

,,Ich, ein Jud« ist in jeder Hinsicht beeindruckend. So spiegelt sich Judas‘ einsame Seele im Engel (Christine Wagner) wider. Und: Das verfallen der Mauerwerk der Kirche prallt an vergessenen klerikalen Prunk und interpretiert damit eigenwillig Judas‘ Geschichte.

Judas' Verteidigung
Vorarlberger Projekttheater in Linz

Vera Rathenböck
Kronenzeitung OÖ, 29.09.1995

Die Geschichte legt ihm den Verrat, auf den der Hahnenschrei folgt, um den Hals, warf ihm Käuflichkeit vor. Judas Ischarioth Dietmar Nigsch vom Projekttheater Vorarlberg tritt als Judas vor die Menge und sagt , Es ist wichtig, daß es mich gibt,“ Zu sehen und zu hören ist dieses Projekt derzeit in der Martinskirche am Linzer Schloßberg.

Die Verteidigungsrede des Judas Ischarioth von Walter Jens gilt als Rückholung der Menschenwürde eines Degradierten. Von moralisierenden Verkürzungen zwar leicht durchbrochen, bleibt das Text und Gedankengitter dennoch so geschlossen, um Judas selbst als Verratenen zu offenharen. Dietmar Nigsch als Judas führt mit grandiosem Spiel die Wanderung entlang der historischen Mauern von 2000 Jahren. Er gibt der gepeinigten Seele ohne Pathos ein gegenwärtiges Gesicht und eine suggestive Sprache, in der sich sakrale Überlieferung, menschliche Selbstreflexion und Zeitgefühl verquicken. Ein Engel (Christine Wagner) ist sein schriller Schatten, der aber sehr im Klischee einer Diskriminierten kostümiert ist. Die mögliche Äusreizung der Engelsfigur ist daher etwas verloren.

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