Musik

von Frank Wedekind

Die musikalisch begabte, doch naive Klara Hühnerwadel träumt von einer großen Karriere als Wagner-Sängerin. Sie verlässt die behütete schweizerische Heimat und landet im Wien der 50er Jahre. Unter dem Zuckerguss der Wirtschaftswunderwelt entwickelt sich ein Reigen aus Liebe, Lügen und Leidenschaft. Begleiten Sie uns auf der musikalischen Reise in den Abgrund…

Premiere: 07.Mai 2005 im Hallenbad Feldkirch

Bearbeitung/Regie: Susanne Lietzow
Es spielen: Sandra Bra, Christine Jirku, Peter Badstübner, Sebastian Pass, Sylvia Bra, Dietmar Nigsch
Kostüme/Bühne: Marie Luise Lichtenthal
Lichtdesign/Technik: Bartek Kubiak, Gerhard Grasböck
Video/Schnitt: Martina Lehner

Pressestimmen

Eine brillante Revue der Verlogenheit
Viel Applaus erntete das Projekttheater mit Wedekinds „Musik“ im Feldkircher Hallenbad.

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 09.05.2005

Was der Autor Frank Wedekind bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb, eignet sich, wie die Premiere des Stücks „Musik“ am Samstagabend in Feldkirch bewies, bestens als Beitrag zum Gedenkjahr. Abgesehen davon, dass das Projekttheater mit der neuen Produktion einen wesentlichen Schritt in Sachen Qualitätssteigerung gemacht hat, erwies sich die Idee, das Stück in die Fünfzigerjahre und damit in die Wirtschaftswunder und Musikfilmzeit zu versetzen, als brillant.
„Musik“, ein Stück, das Wedekind als Farce verstand, zeigt das Schicksal der naiven Klara Hühnerwadel, die von einer Karriere als Wagner-Sängerin träumt, im strengem Patriarchat aber zu Fall gebracht wird. Sie akzeptiert nicht nur, dass der Weg zur Bühne über das Bett ihres Musiklehrers führt, sie erträgt auch jegliche Demütigungen (Haftstrafe nach der verlangten Abtreibung, eine weitere Schwangerschaft, die Tatsache, dass der Lehrer jegliche Verantwortung von sich weist). Die Frau hatte auch in den Fünfzigerjahren noch absolut zu fügen.
Regisseurin Susanne Lietzow, die mit der Ausstatterin Marie Luise Lichtenthal das Stück in einem Filmstudio entwickelt, zeigt äußerst pointiert entlarvende Werbeclips aus der Zeit und lässt heitere Schlager von der Liebe singen.Dass die Frau nicht nur armes Opfer war, wird aber nicht verschwiegen.

Äußerst aktuell
Darstellungskraft wie stimmliche Präsenz sind bei allen Akteuren ausgewogen. Ein Umstand, der nicht selbstverständlich ist. Zudem agieren Sandra Bra (Klara), Sylvia Bra (deren Mutter) und Peter Badstübner (Lehrer) sehr geschickt an der Kippe zur Groteske. Und Christine Jirku, Sebastian Pass sowie Dietmar Nigsch verstehen es, die Verlogenheit der Zeit mit kleinen Gesten zu transportieren. Mitunter wird die braune Suppe, die unter der Heile-Welt-Einrichtung dampft, krass angedeutet, wenn etwa der hochgereckte rechte Arm des Gefängnischefs festgegipst ist. Das alles hat aber für die verlogenen Fünfzigerjahre, in denen die Vergangenheit verdrängt wurde, Berechtigung. Da man weiß, das diese Verdrängung noch lange anhielt und wenn man zudem hört, dass das Abreibungsverbot nicht unbedingt das werdende Leben schützt, sondern, dass dadurch vor allem der „Körper der Frau als Spekulationsobjekt für Männer reserviert bleibt“, wir einem (obwohl Frauen dazugelernt haben) erneut bewusst, wie aktuell der alte Wedekind noch ist.

Kollektive Scheinmoral und Verdrängungswahn
Das Projekttheater Vorarlberg zeigt mit Frank Wedekinds „Musik“ seinenspannenden und überzeugenden Beitrag zum diesjährigen Jubiläumsjahr.

Brigitte Kompatscher
Neue Vorarlberger Tageszeitung, 10.05.2005

Eigentlich ist es zum Schreien komisch, das Frauenbild, das in Werbefilmen der 1950er Jahre transportiert wird: devote Weibchen, deren einziges Glück (und Existenzberechtigung) in ihren häuslichen Tätigkeiten und der (kulinarischen) Beglückung ihres männlichen Gebieters in Form des Ehemannes zu bestehen scheint. Diese Filmchen gestalteten den Auftakt und die Szenenwechsel in der ebenfalls zum Schreien komischen neuen Produktion des Projekttheater Vorarlberg, die am Wochenende Premiere hatte. Nicht zufällig.

Kein Platz für Tragödien
Das Team mit Regisseurin Susanne Lietzow zeigt das 1908 entstandene Stück „Musik“ von Frank Wedekind als eine skurrile Farce im Österreich der 1950er Jahre, wo die Tragik des Inhalts der an die Spitze getriebenen Absurdität der Form gegenübersteht. Wodurch Verlogenheit und Scheinmoral dieser Jahre in einer Eindringlichkeit sichtbar werden und das Stück auch bestens funktioniert. Menschliche und existenzielle Tragödien durfte es nicht geben, weil in einer Zeit von Wirtschaftswunder und Aufschwung kein Platz dafür war und weil es zugleich auch ratsam erschien, alles Vergangene so schnell wie möglich zu vergessen bzw. zu verdrängen.

Wagner und Schlager
Klara Hühnerwadl (Sandra Bra), ein musikalisch begabtes, äußerst naives Mäderl aus der Schweiz, wird von ihrem Wiener Privat-Gesangslehrer Josef Reißner (Peter Badstübner) geschwängert. Seine Frau Else (Christine Jirku) bezahlt die Abtreibung, Klara flieht, kehrt wieder zurück und muss ins Gefängnis. Dort wird sie wieder von Else herausgeholt und kehrt erneut ins Haus der Reißners zurück, um ein weiteres Mal von Josef schwanger zu werden.
Sie bekommt das Kind, das sie allerdings – als es nicht aufhört zu schreien, während sie Wagner hören will – erstickt.
Nicht nur Wagner, sondern vor allem die von den SchauspielerInnen (sehr gut) gesungenen alten Schlager der 50er, romantische Duette, verklärende Idyllisierungen, verursachen die permanenten Brüche in der Handlung und machen die Geschichte zu einem überbordenden Feuerwerk an Ironie, Slapstick und Satire – immer begleitet von der Katastrophe im Hintergrund. Unterstütz wird „Musik“ dabei von spielfreudig agierenden AkteurInnen (noch Sebastian Pass, Sylvia Bra und Dietmar Nigsch), einer Ausstattung (Marie Luise Lichtenthal), die mit Zeit und Geschichte gekonnt kokettiert und einer Regie, die vor Ideen übersprudelt. Da gibt es etwa musikalische Kammreinigungs-Schattenspiele oder ein Ehepaar Reißner im ekstatischen Wagner-Paarungstaumel.
Und manchmal taucht in der fröhlichen Scheinwelt dann doch real Existierendes auf – etwa ein Gefängnisleiter (Nigsch), dessen Arm so eingegipst ist, dass er permanent zum Hitlergruß erhoben ist. Schwierigkeiten sich einzufügen hat er in dieser Welt, in der fast alle ausschließlich darum bemüht sind, den Schein aufrechtzuerhalten und jegliche Verantwortung von sich zu schieben, nicht. Ein ausgezeichneter Beitrag – der vielleicht etwas anderen Art – zum Jubiläumsjahr.

Grotesker Kampf gegen die Scheinmoral
Feldkirch – Das von Dietmar Nigsch 1988 begründete Projekttheater Vorarlberg hat mit seinem Mut fürs Neue schon oft für kantige Theaterdiskussion gesorgt.

Edgar Schmidt
Liechtesteiner Volksblatt, 11.05.2005

Nach Bernhard, Schwab und Co. steht nun seit dem Wochenende (und noch bis 21. Mai) im Alten Hallenbad der deutsche Dramatiker Frank Wedekind (1846 -1918) und sein Drama „Musik“ auf dem Programm. In einer grotesken Bearbeitung der Regisseurin Susanne Lietzow wird das 1908 entstandene Stück in die fünfziger Jahre versetzt. Frank Wedekind, der auch Schauspieler und zeitweise Kabarettist war, stellt in den Mittelpunkt seines umfassenden Werks den Kampf gegen die Schein- und Doppelmoral der bürgerlichen Welt. In seiner 1904 von Max Reinhardt uraufgeführten skandalträchtigen Pubertätstragödie „Frühlings Erwachen“ oder mit den „Lulu- Tragödien“ festigte er seinen (damals schlechten) Ruf als Schocker und Rebell und hatte auch auf den jungen Bert Brecht grossen Einfluss. Die schlimmen Dinge in „Musik“ sind zeitlos und hätten eigentlich nicht „modernisiert“ werden müssen – Karriereversuche übers Bett des Gönners, Abtreibung, Ehebruch, Tötung eines Kleinkindes etc. Die fünfziger Jahre nach dem Schrecken des Krieges bieten sich aber besonders deutlich an für die in der Wirtschaftswunderzeit grassierende rücksichtslose Lebensgier mit Verdrängung aller moralischer Bedenken. Eine Scheinmoral, die gefällige Schale über einem faulen Kern, prägte jetzt vornehmlich die Befindlichkeit der menschlichen Existenzen.
Zum Plot: Klara Hühnerwadel (Sandra Bra), ein Schweizer Mädel mit musikalischer Begabung und >Drang nach Wagner, wird von ihrem Wiener Gesangslehrer Reissner (Peter Badstübner) schwanger. Die Abtreibung zahlt Frau Else Reissner (!), doch Klara muss ins Gefängnis. Else (Christine Jirku) hilft ihr nochmals, Klara wird von Reissner ein zweites Mal schwanger, und in einem hysterischen Anfall erstickt Klara das Baby, weil es sie mit seinem Schreien stört, während sie Wagner- Klänge geniessen will…
Susanne Lietzow (Bearbeitung und Regie) und Maria Luise Lichtenthal (Kostüme und Bühne) schaffen trefflich die Welt der fünfziger Jahre mit kitschigen Werbefilmchen, seichten Schlagerliedern und einem adäquaten Wohnungsinterieur. Lietzow inszenierte grell, ironisch bis grotesk – z.B. die Figur der kammreinigenden Gefängniswärterin (Sylvia Bra) oder die Paarungs- Parodie der Reissners bei der Hallen- Arie oder der (immer noch) zum Hitler- Gruß erstarrte rechte Gipsarm des Gefängnisdirektors (Dietmar Nigsch) – das teils skurril-absurde Ambiente mit viel schwarzem Humor lässt aber umso deutlicher das darunter wuchernde unmoralische Grauen hervortreten.
Die Szene, in der Sebastian Pass/ Franz Lindekuh endlos den schreienden Säugling imitieren muss, kann hingegen nur als peinlich bezeichnet werden. Insgesamt eine stimmige und packende Ensembleleistung in gewohnter Klasse-Qualität des renommierten Projekttheaters Vorarlberg.

Das Leben ist eine bitter-süsse Symphonie
Brillante Premiere von Frank Wedekins „Musik“ im Hallenbad Feldkirch

Johannes Mattivi
Liechtensteiner Vaterland, 10.05.2005

Intensiv, bilderreich, inszenatorisch und darstellerisch unglaublich dicht – so präsentierte sich am vergangenen Premierensamstag die neue Produktion des Projekttheater Vorarlberg. Wedekinds „Musik“ als skurrile Revue über die verlogenen Fünfzigerjahre.

Regisseurin Susanne Lietzow ist das Kunststück gelungen, in ihrer Neubearbeitung und Inszenierung von Frank Wedekinds 1908 in Nürnberg uraufgeführten Farce „Musik – Das Schicksal der Klara Hühnerwadel“ mehrere Spannungsschichten gleichzeitig aufzubauen. Da ist zunächst der geniale Einfall, Wedekinds bitter-komisches „Sittengemälde in vier Bildern“ aus dem Dunst der dumpf- verlogenen wilhelmischen Jahrhundertwendeära in die nicht minder verlogene schlager- und heimatfilm- süssliche Ära der Wiener Nachkriegs-Fünfziger zu verlegen. Ein Transfer, der den Spannungsbogen zum fast hundert Jahre alten Inhalt und Text der Wedekindschen Farce aufrecht erhält und gleichzeitig die psychologischen Abgründe der Nachkriegsgesellschaft messerscharf zu Tage fördert. Als Farce mit skurrilen Schlagermelodieeinschüben, Original-Werbefilmsequenzen und alptraumhaft gestalteten Spielszenenintermezzi inszeniert, wird diese Produktion schärfer als jede auf eine klassische Grossstadt-Tragödie ausgerichtete Inszenierung. Es gibt viele Stellen in diesem Stück, bei denen man über die fulminat- komischen Regieeinfälle lachen muss – oder oftmals besser müsste, wäre die Komik nicht so bitter, dass einen das Lachen eigentlich im Hals würgt. Regisseurin Susanne Lietzow wagt eine Wanderung auf der angeschliffenen Messerschneide: Wie weit kann man die Mittel einer Farce in die Höhe schrauben, um maximale Dichtheit zu erreichen, bevor die Spitze bricht. Das Ergebnis der zweieinhalbstündigen Inszenierung zeigt: Die gelungene Gratwanderung erzeugt beim Zuschauer Schwindelgefühle wie auf einer Achterbahn, jedoch ohne auch nur einen Moment lang abzustürzen.

Der Traum von der grossen Karriere
Die Handlung kurz umrissen: Klara Hühnerwadel, ein naives Mädel aus einem Schweizer Dorf, zieht in die grosse Welt, um eine gefeierte Wagnersängerin zu werden. Am Wiener Konservatorium trifft sie auf den Gesangslehrer Josef Reissner, der sie zu Privatstunden überredet, und während er der naiven Schülerin das Blaue vom Himmel herunterschwärmt, beginnt er mit ihr – unter den Augen seiner frustrierten Ehefrau Else, die solches schon gewöhnt ist – ein Verhältnis, schwängert sie, überredet sie zur illegalen Abtreibung, welche Klara nach einem missglückten Fluchtsversuch eine Gefängnisstrafe einbringt, befreit Klara auf Gnadengesuch von Ehefrau Else vorzeitig aus der Haft und beginnt erneut ein Verhältnis, das in einer erneuten Schwangerschaft mündet. Diesmal will Klara das Kind jedoch austragen – die Tatsache jedoch, dass das schreiende, weil kränkelnde Baby ihre Karriereträume vollends zunichten gemacht hat, überfordert sie. „Sei still, so doch endlich still“, brüllt Klara hysterisch, als das Kind über ihre geliebten „Parsifal“ -Klänge aus dem Radio drüberschreit.
Und dann macht sie das Kind mit dem Kopfkissen auf dem Gesicht still – endgültig still.

Grandiose Regie und beeindruckendes Ensemble
Nicht nur die Auswahl der Darstellerinnen und Darsteller in Susanne Lietzows vierter Produktion für das Projekttheater Vorarlberg ist geglückt, auch die Personenführung durch die Regisseurin, die aus den Darstellern schillernde Spielfacetten herausholt. Ein wunderbar-teuflischer, charmanter verführerischer, aber im Grunde feiger Gesangslehrer Josef Reissner (Peter Badstübner), eine naive bis bittere Klara Hühnerwadel (Sandra Bra), die tragisch, komisch, verletzlich und schmerzlich zugleich sein kann, eine abgedreht- komische Gefängnisaufseherin Pepi (Sylvia Bra) im Gespann mit einem ebenfalls herrlich skurrilen Gefängnisdirektor und Arzt (Dietmar Nigsch in einer Doppelrolle), einer zerzaust- frustriert -skurrile alternde Opernsängerin – Josefs unterdrücket und ausgebeutete Ehefrau Else Reissner (Christine Jirku) – und ein schillernder Franz Lindekuh (Sebastian Pass), gleichzeitig moralinsauerer Schmierenjournalist und dennoch wiederum der einzige Mensch, der es mit Klara ehrlich meint. Hut ab vor der Ensembleleistung, Hut ab vor den vielen facettenreichen Einfällen der Regie – bei denen man merkt, dass zusätzlich zur inszenatorischen Kreativität genaue Recherchearbeit geleistet wurde – Hut ab vor den Musikarrangements und der Technik.
„Musik – das Schicksal der Klara Hühnerwadel“ von Frank Wedekind in der neuen Inszenierung fürs Projekttheater Vorarlberg: Uneingeschränkt empfehlenswert.

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