Vatertag

von Harald Gebhartl

Ein Stück über die sexuelle Ausbeutung von Kindern

Premiere: 1993 im Saumarkttheater Feldkirch.

 

Regie: Heike Gäßler
Es spielen: Evelyn Fuchs, Dietmar Nigsch, Dieter Hermann, Bridge Markland

Pressestimmen

Direkt ins Herz des Publikums

Elke Burtscher
NEUE Vlb Tageszeitung, 30.03.1993

„Vatertag ist ein Stück über die Gewalt, die ein Vater seiner Tochter antut. Marion erzählt ihre Geschichte als Tote, aus einem der Gräber auf dem Friedhof der „ermordeten“ Töchter. Sie erzählt von ihren Leib- und Seelennöten, von den Verdängungsmechanismen und der (zu) späten Erkenntnis der Mutter, vom unbelehrbaren Selbstverständnis des „heiligen“ Vaters, der sich auch nach dem Selbstmord der Tochter in beharrlicher Sicherheit seiner eigenen Unschuld wähnt.

Abseits jeder Banalität

Mit ,,Vatertag und tausend Vatertage“ hat Harald Gebhartl ein Stück abseits jeder Banalität geschrieben: Seine Sprache ist minimalistisch, echt und manchmal grob. Eine Sprache, die den Mut zu ihrer eigenen Unzulänglichkeit hat und oft gerade durch ihre Hirnosigkeit wirkt. Dem entsprechend inszenierte Heike Gäßler den ,,Vatertag“ nicht als reine Textrezitation sondern als sinnliche Collage: Realistische Spielsituationen wechseln mit inneren Monologen, die sich – unterstützt von Licht- und Toneffekten – zu beängstigenden, sprachlosen Visionen steigern. Tatsachenberichte und Geschichten anderer Inzestopfer von der Antike bis heute unterbrechen immer wieder das Spiel und machen die Allgegenwärtigkeit des sexuellen Mißbrauchs deutlich. Mit sicherer Hand stellen Regisseurin und Ensemble (Dietmar Nigsch als Vater, Dieter Hermann als Marions Freund und ganz großartig: Evelyn St. Fuchs als Mutter und Bridge Markland als Marion) die Saumarktbühne mitten ins Publikum und lassen völlig vergessen, daß da ,,nur gespielt“ wird.

Jeder, der bisher geglaubt hat, Theater sei zwangsläufig eine verstaubte Institution, die nichts mit dem wirklichen Leben zu tun ,hat, sollte sich den ,,Vatertag“ anschauen und sich eines Besseren belehren lassen: Theater kann betroffen machen, Wut und Mitleid schüren und an die richtige Stelle des Publikums treffen: direkt ins Herz.

Die Szenen eines ,,Seelenmordes"

Christa Dietrich
Vorarlberger Nachrichten, 30.03.1993

Inzest ist Seelenmord. ,,Wenn ich Inzest mit Seelenmord in Verbindung bringen kann möchte ich damit sagen, daß ein Totalangriff auf das Menschsein erfolgt, daß das Kind nicht länger so denken und fühlen kann wie andere Kinder…“ schreibt Ursula Witz über den sexuellen Mißbrauch von Kindern. Harald Gebhartl hat sich in seinem Stück ,,Vatertag“ dieser Problematik angenommen. Das Projekttheater Vorarlberg hat nun eine Collage nach Motiven dieses Stückes geschaffen, ein Schrei aus dem Totenreich, Szenen eines Seelenmordes.

Diese Collage steht im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe ,,Sexualität und Gewalt“, die das Projekttheater gemeinsam mit dem Feldkircher Saumarkttheater zu einer hierzulande meist verdrängten, bzw. mit Vorurteilen behafteten Problematik realisiert. Das Projekttheater tat richtig daran, als es dieser Collage im Zuge der Verwirklichung mit ,,Vatertag und tausend Vatertage“ auch gleich einen neuen Namen gab. Von Gebhartls Stückentwurf hat man sich weit entfernt. Ein junges Mädchen, Schülerin an einem Institut für Kindergartenpädagogik, wird von seinem Vater mißbraucht, auf den Seelenmord (man erinnere sich an die zitierte Autorin Ingeborg Bachmann: ,,Es war doch Mord“) folgt der Sprung von der Eisenbahnbrücke…

Es ist ein Stück aus dem Totenreich, wir befinden uns in einer Art Aufbahrungshalle (ein konsequent durchgezogener Bühnenbildentwurf von Hedwig E. Boahene, der im übrigen auch aufzeigt, welche Möglichkeiten im Theater am Saumarkt bislang brach lagen), in dem ein Mord betrauert wird. Das Schicksal der Toten können wir uns aus den collgeartigen Szenen zusammenweben, durchwoben sind sie zusätzlich von Inzestgeschichten aus Mythologie und Märchenliteratur bis herauf zu Anklagen mißbrauchter Töchter in Zeitungsartikeln.

Sprachlosigkeit

Ein wichtiges Element, das Regisseurin Heike Gäßler hervorragend herausarbeitete, ist die Sprachlosigkeit. Beim Mädchen Marion tritt sie am deutlichsten als Zeichen der Verletzung zu Tage. Für das, was ihr angetan wurde, reichen die Worte nicht mehr aus. Bridge Markland tanzt die Bewegungen der Verstümmelten, zitiert aus Bachmanns ,,Malina“ oder flüchtet verwirrt, stumm gemacht. Die Mutter (Evelyn St. Fuchs – auch Erzählerin) macht sich hingegen durch ihr Schweigen schuldig. Daß sie etwas ahnt, was für sie immer mehr zur Gewißheit wird, macht die Schauspielerin unmißverständlich klar. Der Vater (Dietmar Nigsch) ist für uns nicht zu fassen. Damit ist er austauschbar, austauschbar wie der Schauplatz. Derbheit verbirgt sich unter dem modischen Outfit, Verbrechen hinter der gestylten Bühnenfassade. Ein konsequentes Konzept, für die Schauspieler (wie auch für Dieter Hermann als Freund Thomas) ein unbequemes, weil sie auf Konturen verzichten müssen, für das Publikum – sofern es solche Mittel nicht von vornherein ablehnt – ein schmerzhaftes. Es erlaubt uns, durch die Figuren hindurchzusehen. Das macht betroffen und fordert Stellungnahmen, nicht zum Verhalten dieses Vaters oder dieser Mutter, sondern sich selbst gegenüber. (Wie steht’s mit mir, könnte ich Täter werden, hätte ich den Mut zur Anzeige etc.?)

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