Verrückung – wie pünktlich die Verzweiflung ist

Eine Sprach-Ton-Performance zu Texten von Christine Lavant

Zum 100. Geburtstag von Christine Lavant  * 4. Juli 1915 / + Juni 1973

Es ist so viel Kraft, Poesie und Lebensbewältigung im Werk dieser schwachen, von Krankheit gezeichneten Frau, die selbst Steine und Sterne zum Leben erweckt und damit ihre eigene Todessehnsucht bewältigt. Ihre schwarze, schmächtige Gestalt schlägt Funken ins All.
Sie lässt sich auf Menschen ein und legt sich mit Gott an.

Verrückung ist eine Annäherung an das Leben der österreichischen Autorin Christine Lavant und ihrer sprachgewaltigen Lyrik – sowie der posthum erschienenen Erzählung „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“. In ungewöhnlicher Besetzung wird die Rauschhaftigkeit ihres Schreibens, ihre tiefe innere Zerrissenheit und der wilde Drang, sich mit Worten zu befreien, zum Tönen gebracht.

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Christine Lavant kam als 9. Kind einer Bergarbeiterfamilie im Lavanttal in Kärnten zur Welt. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen und von Krankheiten gezeichnet, gehört die Lyrikerin und Erzählerin zu den bedeutendsten Autoren der österreichischen Nachkriegsliteratur.
Die bislang verschollene Erzählung „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“ ist ein literarisches, subtiles, psychologisches Meisterwerk. Die Erzählung ist eine literarisch wie psychologisch genaue Studie eines freiwilligen Aufenthalts in einer „Irrenanstalt“. In Bildern, denen man sich nicht entziehen kann, schildert die Ich-Erzählerin Bewusstseins- und Unterbewusstseinszustände von Insassinnen, Personal, Besucherinnen und sich selbst. Die Grenze zwischen „normal“ und „unnormal“ verschwimmt. Noch selten hat jemand so über die Abgründe von Psyche und Psychiatrie zu schreiben vermocht.

Die Uraufführung fand beim Festival Walserherbst 2010 im Großen Walsertal statt.

Mit freundlicher Unterstützung der Hans Schmid Privatstiftung.

Komposition und Gesang: Agnes Heginger
Violoncello, singende Säge: Maria Frodl
Rezitation: Martina Spitzer

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Christine Lavant (1915–1973)

1915 Geboren am 4. Juli in Groß-Edling bei St. Stefan im Lavanttal, Kärnten, als neuntes Kind des Bergarbeiters Thonhauser. Als Kleinkind Lymphknoten und Hauterkrankung, die fast zu Erblindung führen
1921–29 Besuch der Volksschule in St. Stefan wird durch oftmalige Lungenentzündungen
und Aufenthalte im Krankenhaus immer wieder unterbrochen
1929 Hauptschulbesuch muss wegen des langen Schulweges abgebrochen werden. Lebt
als Strickerin bei ihren Eltern
1930 Durch eine übersehene Mittelohrentzündung wird sie auf einem Ohr fast taub
1931 Schwere Depressionen
1932 Erstes Romanmanuskript wird vom Grazer Leykam Verlag abgelehnt, worauf sie alle bis dahin geschriebenen Werke vernichtet
1933 Nach schweren Depressionen auf eigenen Wunsch Aufnahme in der Nervenheilanstalt in Klagenfurt
1938/39 Tod beider Eltern
1939 Heiratet den Maler Josef Benedict Habernig. Übersiedlung nach St. Stefan
1939–45 Beschäftigung mit religiöser, mystischer und philosophischer Literatur, beeinflusst von Rainer Maria Rilke
1948 Erste Publikation Das Kind durch den Verleger Viktor Kubczak im Brentano-Verlag in Stuttgart unter dem Pseudonym »Lavant«
ab 1950 Freundschaft mit Werner Berg
1954 Georg-Trakl-Preis. Lernt Ludwig von Ficker kennen
ab 1955 Lavant verkehrt auf dem »Tonhof« des Komponisten Gerhard Lampersberg, einem kulturellen Zentrum im Kärnten der fünfziger Jahre, wo sie u. a. Thomas Bernhard kennenlernt
1963 Nach Schlaganfall des Mannes Nervenzusammenbruch und Krankenhausaufenthalt
1964 Tod des Mannes. Anton-Wildgans-Preis. Georg-Trakl-Preis
1966–68 Lebt in Klagenfurt
1968 Rückkehr nach St. Stefan
1970 Großer Österreichischer Staatspreis
1972 Aufenthalt im Krankenhaus
1973 Stirbt am 7. Juni in Wolfsberg, Kärnten

Buchtipp: Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Annette Steinsiek und Ursula A. Schneider. Otto Müller, Salzburg / Wien 2001.

Die Faszination des Abends jedenfalls geht von der Verschmelzung von Singstimme, Sprechstimme und Instrument aus, die in dieser Perfektion nur von starken künstlerischen Persönlichkeiten realisiert werden kann.

Wiener Zeitung

Verrückung als sensibles Porträt einer vielschichtigen Schriftstellerinnenpersönlichkeit.

Der Standard

Ein Abend, an dem sich Gänsehaut aufbaut. Berührend und zum Aufschrei gleichermaßen anregend.

Vorarlberger Nachrichten

Pressestimmen

Wiener Zeitung, 16.12.2011

Ein Genie erblüht im Dunkeln Die Bühne ist mit schwarzen Vorhängen ausgeschlagen, auf der Bühne drei Damen, schlicht gekleidet, dazu Mikrophone, Musikinstrumente, Pulte mit Textbüchern. Im Theater Drachengasse, Raum Bar & Co, wird „Verrückung“ gezeigt, ein musikalisch-literarisches Programm über Christine Lavant (1915 bis 1973). Die hochinteressante österreichische Dichterin, deren Kindheit nicht leicht und deren Jugend sehr schwer war, kränkelte von Geburt an und verbrachte schließlich – nach einem Selbstmordversuch – einige Zeit in einer Nervenheilanstalt. Dort mehr herumgestoßen als ernsthaft therapiert, erblühte doch gerade in dieser dunkelsten Zeit ihres Lebens ihr großes schriftstellerisches Talent, das sich vor allem in einer visionären Lyrik manifestiert, die, zwar religiös grundiert, doch mehr Lästergebet ist denn naives Gottvertrauen. In Teamarbeit formten die beeindruckende Schauspielerin Martina Spitzer, die fesselnde Sängerin und Komponistin Agnes Heginger und die einfühlsame Cellistin Maria Frodl eine raffiniert aufgebaute Darbietung, die Christine Lavants Persönlichkeit lebendig werden lässt. Es würde Seiten füllen, all die Kunstgriffe aufzuzählen, die hier erdacht wurden. Die Faszination des Abends jedenfalls geht von der Verschmelzung von Singstimme, Sprechstimme und Instrument aus, die in dieser Perfektion nur von starken künstlerischen Persönlichkeiten realisiert werden kann.

Der Standard, Printausgabe, 16.12.2011

Theater Drachengasse Fatalismus und Lebenslust Martina Spitzer, Agnes Heginger und Maria Frodl nähern sich mit „Verrückung“ der Schriftstellerin Christine Lavant an Wien – Die Biografie der Kärntner Dichterin Christine Lavant (1915-73) zeigt ein Leben an der Schwelle zwischen Hierbleiben und Fortgehen: Als neuntes Kind einer Bergarbeiterfamilie geboren, waren insbesondere Kindheit und Jugend von schweren Erkrankungen geprägt. Ihr schriftstellerisches OEuvre, das heute zu den bedeutendsten der österreichischen Nachkriegsliteratur zählt, erscheint da wie eine Trotzreaktion auf widrigste existenzielle Umstände. In Verrückung – Eine literarisch-musikalische Annäherung an Christine Lavant erzählen Martina Spitzer (Rezitation), Agnes Heginger (Komposition, Stimme) und Maria Frodl (Cello, singende Säge) diese Biografie anhand der posthum veröffentlichten Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus: Lavant verfasste sie, nachdem sie sich mit schweren Depressionen 1935 in eine Nervenheilanstalt in Klagenfurt hatte einweisen lassen. Es ist eine der Stärken des gut einstündigen Stücks, dass es sowohl die dunkle, todessehnsüchtige wie auch die lebensbejahende, mitunter schalkhafte Seite der Christine Lavant herauszustellen vermag. Martina Spitzer lässt Lavants klare Sprache unmanieriert zu sich selbst kommen, unterstreicht sie nur durch sparsame, wirkungsvolle Mimik. Maria Frodl kontrapunktiert und interpunktiert die Worte mit kräftigen Staccati und grüblerischen Borduntönen am Cello, um immer wieder der singende Säge wunderliche Kantilenen zu entlocken. Agnes Heginger bezirzt durch virtuose vokale Rollenwechsel zwischen entrückten Engelsgesängen und trällernder Närrin. Besondere Momente ergeben sich dann, wenn gesprochenes und gesungenes Wort, Sprache und Klang direkt ineinandergreifen, collagenartige Ansätze hörbar werden – eine Option, die noch stärker hätte genützt werden können. Dennoch konveniert Verrückung als sensibles Porträt einer vielschichtigen Schriftstellerinnenpersönlichkeit.

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