Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos

von Werner Schwab

Wir wurden in die Welt gevögelt und können doch nicht fliegen.

Es geht drunter und drüber in diesem Mietshaus, in dem die Wurms, die Kovacics und die Grollfeuer hausen. Sie ersprechen sich in Schwabscher Manier ihr Leben, erbrechen die Schwabschen Sprachgebilde um am Leben zu bleiben, um schließlich an der Schadenfreude der anderen zu ersticken – eben eine Radikalkomödie.

Premiere: 11. Mai 2000 im Pförtnerhaus Feldkirch

Regie: Walter Hiller
Es spielen: Christine Aichberger, Dietmar Nigsch, Alois Frank, Renate Köhn, Gunda Hoffmann, Maria Hofstätter und Brigitte Walk
Ausstattung: Renate Schuler
Bühnenbau: Erika Lutz

Pressestimmen

"Schwab-Deutsch" hat seinen Reiz

Egdar Schmidt
VN-Heimat, 25.05.2000

Das von Schauspieler Dietmar Nigsch und Regisseur Walter Hiller repräsentierte Projekttneater widmet sich derzeit einem seiner bevorzugten Autoren – dem vor sechs Jahren tragisch verstorbenen, als Skandalautor apostrophierten Österreicher Werner Schwab.

Mit einer Handvoll Bühnenwerken (in unserer Region sind dessen ,,Präsidentinnen“ eben durch das Projekttheater zu einem Renner geworden) schrieb sich Schwab in die österreichische Literaturgeschichte; und – wovon man cher Autor nur träumen kann – das sperrig-reizvolle ,,Schwab-Deutsch“ ist zum markanten verbalen Markenzeichen des Aufregers geworden. Die als ,,Radikalkomödie“ bezeichnete ,,Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ von Werner Schwab hatte im Pförtnerhaus erfolgreiche Premiere und wird nun noch dreimal gespielt.

Grelles Inferno

Bühnenbildnerin Erika Lutz realisiert Schwabs ,,Volksvernichtung“ an drei Schauplätzen (Ausstattung: Renate Schuler). Links vorne hausen in einem erbärmlichen Kabinett mit Kitschmadonna im Herrgottswinkel die bigotte Frau Wurm (Christine Aichberger) und ihr verkrüppelter Sohn Hermann (Dietmar Nigsch), ein ,,Maler“, der seinen Lebensfrust im Hass auf seine beschränkte Mutter abreagiert und ihn in ekstatisch hingepinselten Bildern auskotzt.

Frau Wurm hingegen antwortet mit frömmelnder Ermahnung und dem Besen. Rechts tummelt sich in einer modern-sterilen Fauteuil Landschaft die billige Familie Kovacic – zwei permanent geile, grell dekorierte Töchter a la Nina Hagen (Gunda Hoffman und Brigitte Walk) mit ihrem saufenden Vater-Lüstling (Alois Frank) und der zwischen Hure und Bürgerglucke pendelnden Mutter (Maria Hofstätter).

Die Mitte der Bühne beherrscht eine riesige schräge Tischplatte, an der die Vermieterin Frau Grollfeuer (Renate Köhn) residiert, eine zynische Herrin über Leben und Tod von Dürrenmatt’schem Profil. Die Schlusspointe sei nicht verraten.

Exzellente Darsteller

Der Plot ist bei Schwab (fast) Nebensache – die Figuren erschaffen und vernichten sich selbst durch die Sprache des ,,Schwab Deutsch“, ein vorerst fremdes, wenn auch großteils originelles Konglomerat, das sich um übliche stilistische und grammatikalische Normen nicht kümmert die Figuren aber plastisch charakterisiert. Und diese häufig sprachparodistischen, ja skurrilen Züge machen den Blick in das psychologische Inferno der Schwab’schen Protagonisten erst recht makaber und erschreckend. Regisseur Walter Hiller setzt auf Action und leicht klamaukigen Augenschmaus bei den Wurms und den Kovacics, verleiht der dämonischen Grollfeuer und ihren Monstermonologen aber – gut kontrastierend – den Touch antiker Statik. Und alle Darsteller agierten exzellent – die jammernde Kümmernis Christine Aichbergers, der hasserfüllte Komplexier von Dietmar Nigsch, Maria Hofstätters pralle Mutternutte, Alois Franks schmieriger Grapsch-Papa, Gunda Hofman und Brigitte Walk als sich stets räkelnde Sexy-Schlangen und Renate Köhns Racheengel Frau Grollfeuer. Man muss kein Schwab-Fan sein, aber allein der fulminanten Inszenierung wegen sollte kein Theaterfreund diese Produktion versäumen.

Alles Lebe(r)n ist sinnlos
Werner Schwabs Radikalkomödie „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ wurde vom Projekttheater im Feldkircher Pförtnerhaus aufgeführt.

Eva Kollman
NEUE VLB Tageszeitung, 13.05.2000

Dem Grazer Werner Schwab, vor einigen Jahren 35jährig verstorben, gelang mit der „Volksvernichtung“ sein dramatischer Durchbruch im deutschsprachigen Raum, nachdem „Die Präsidentinnen“, 1996 auch in Vorarlberg gespielt, zuerst am Burgtheater abgelehnt, dann doch aufgeführt wurden.

„Man muss sich dem Stück hingeben, darf während der Aufführung nicht zu denken beginnen“, sagt Walter Hiller, Regisseur und mit Dietmar Nigsch Leiter des Projekttheaters. Beide kämpfen seit Jahren um eine solide Grundlage für ihr engagiertes Unternehmen.

Ein Mietshaus. Die gesellschaftliche Hierarchie der Bewohner spiegelt sich in der Lage der Wohnungen. Ganz oben: die Vermieterin, Frau Grollfeuer, die alte, böse, mordgierige Witwe eines Professors, den sie vergiftet hat. Die aus Norddeutschland stammende Renate Köhn stattet diese Figur mit allem aus, was sie zur beherrschenden Macht im Stück werden lässt: starke Präsenz durch knappe Gestik, Vermittlung der Schwabschen Sprachverballhornung und Sprachanomalien in ordinär-vornehmer Manier. Grollfeuer hasst ihre Mitbewohner, will sie bei ihrer Geburtstagsfeier ins Jenseits befördern.

In der mittleren Etage residiert die Familie Kovacic, von Grollfeuer permanent und beleidigend immer Kovac genannt. Die schrille Mutter (Maria Hofstätter) konkurriert mit ihren sexbesessenen Töchtern (Gunde Hofmann und Brigitte Walk) in Aussehen und Teenager-Gehabe, will aber die bürgerliche Ordnung gewahrt wissen. Herr Kovacic (Alois Frank) betatscht seine Töchter, wo immer es geht, säuft in seinem neuen Wohnzimmer, um seinen Angestellten-Frust zu vergessen und katzbuckelt vor der Vermieterin.

Schutzpanzer

Ganz unten, in einer verkommenen Bassena-Wohnung, eine frömmelnde, von ihrem behinderten Sohn Hermann (Dietmar Nigsch) tyrannisierte alte Frau (Christine Aichberger), die auf die Verbalattacken des Möchte-Gern-Künstlers schon mal mit dem Teppichklopfer antwortet, im Angesicht der fluoreszierenden Madonna im Hergottswinkel – gleich neben dem Müllkübel.

Die abstruse, sinnverwirrende Sprache der Protagonisten decouvriert sie und ihr erbärmliches Leben, ist aber gleichzeitig ein Schutzpanzer gegen die sprachlich-obszönen Entgleisungen der anderen.
Die Geburtstagsfeier wird nicht zur Vergiftungsorgie – Frau Grollfeuer lässt ihre Mieter am Leben, denn es ist mörderischer und gemeiner, sie in ihrer scheinheil(ig)en Welt weiter dahin vegitieren zu lassen. Grollfeuers Resümee: „Man trinkt sich hinein in ein Verständnis. Aber meine Leber war umsonst. Meine Leber war sinnlos.“ Man versteht nichts, man erträgt nur.

Es ist ein böses Stück, das die Menschen in all ihrer Bosheit und Erbärmlichkeit zeigt, beängstigend echt inszeniert und dargestellt. Ein sprachliches Trommelfeuer aus der untersten Schublade, radikal und konsequent durchgezogen, zeigt die Tristesse zerbrochener Existenzen, die nicht glauben, hoffen und lieben können. „Das Furchtbarste, was es gibt, ist das Volk“, sinniert die mordlustige Witwe. Was hätte Werner Schwab angesichts der heutigen Situation geschrieben, wenn er noch am Leben wäre?

Neger sind heikel und Grazer sind eigen
Man bekam so einiges zu hören bei der neuen Premiere des Projekttheaters

Dagmar Ullmann-Bautz
Vorarlberger Nachrichten, 13.05.2000

Das 1992 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnete Stück „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ von Werner Schwab hatte am Donnerstag im Feldkircher Pförtnerhaus Premiere. Man muss es mögen, dieses Schwabdeutsch. Man muß es mögen, oder um sich Schwabs zu bedienen, ertragen, Sätze nicht zu verstehen. Man muss es ertragen, so tief in den Abgrund einer Seele zu blicken.

Erika Lutz baute drei Räume, dreimal Einblicke in die Lebensgewohnheiten von Mietern und Vermietern. Vorne links, das Dreckloch der Wurms mit einer hell glänzenden Madonna im Eck, daneben das Wohnzimmer der Familie Kovacic, gefüllt mit neuen Versandhausmöbeln und dekoriert mit den beiden bunten und gut bestückten Töchtern. In der Mitte thront erhöht die schräg abfallende Tafel der Vermieterin Frau Grollfeuer.

„Ich bin eigen“, sagt Kovacic in Werner Schwabs Radikalkomödie, genauso eigen wie alle Schwabprotagonisten. Es ist schon eine äußerst skurille Hausgemeinschaft, die uns Schwab vorführt und die die Schauspieler bravourös auf die Bühnenbretter bringen.

Betroffen machen Christine Aichberger als schrecklich bigotte Frau Wurm und Dietmar Nigsch, als deren klumpfüßiger Sohn Hermann. Beide hocken in ihrem gemeinsamen Loch und empfinden sich gegenseitig als Strafe Gottes. In blinder Wut und Aggression schlagen sie um sich, quälen sich und nutzen jede Gelegenheit und Schwäche des anderen bestialisch aus. Kein Wunder, dass danach der Blick ins Wohnzimmer der Familie Kovacic fast aufatmen und lachen lässt. Obwohl für sich allein gesehen der cholerische Vater, der lüstern seine Töchter begrapscht, ein Alptraum ist. Alois Frank herrlich in seiner körperlichen Agitation, leider mit kleinen sprachlichen Schwierigkeiten.

Maria Hofstätter, in der Rolle der Mutter Kovacic, einem Vollblutweib, spielt mit unglaublicher Leichtigkeit die Zerrissenheit zwischen Mutter, Ehefrau und Hure, die sich enthusiastisch in die Zufriedenheit säuft. Köstlich Gerda Hofmann und Brigitte Walk als die Töchter Desiree und Bianca, die klar das Familienheft in der Hand haben, nichts im Schädel außer Sex und mit unheimlich viel Spaß an sich und der anderen.

Der Abgrund

In der letzten Szene endlich der Blick ins Machtzentrum des Hauses. Und bei der Witwe Grollfeuer, eindrucksvoll Renate Köhn, der Außenseiterin, der Nicht-Gewöhnlichen, der Gebildeten tut sich der Abgrund auf. Sie ist eine grollende Feuersbrunst, die alles niederwalzt, die sich die Macht nimmt, über Leben und Tod zu entscheiden.
Wie schon gesagt, man muss es ertragen, diese so entsetzlich leidende menschliche Seele, den voyeuristischen Blick in den Sumpf eines Lebens. Werner Schwab, der 1994 als junger Mann starb, verarbeitete in seinen Stücken seine Geschichte, seine Umwelt.

Der Regisseur Walter Hiller hat den Schwab so feinsinnig wie grobsinnlich inszeniert. Dialogische Substilität und gestische Drastik geben einander nichts nach, genauso umgekehrt, wenn die Schwab’sche Sprachwut auf gestische Zartheit trifft.

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